Urteil zu Beschneidungen: Vom OP zurück auf den Küchentisch
Religiöse Beschneidungen verändern den Körper eines Kindes „irreparabel“, meint das Kölner Landgericht. Das Urteil ist ein fraglicher Aufklärungsversuch.
BERLIN taz | In einem „wegweisenden“ Urteil hat das Landgericht Köln die religiöse Beschneidung von Kindern als strafbare Körperverletzung gewertet. Das Urteil ist aufsehenerregend weil es nicht irgendeine, sondern eine der zentralen religiösen Praktiken sowohl des Judentums als auch des Islam verbietet.
Die Richter haben das sehr genau verstanden, wie man an ihrer nun veröffentlichten Entscheidung ersehen kann: Sie begründen ihr Urteil damit, dass der Körper durch die Beschneidung „irreparabel verändert“ werde und damit dem Interesse des Kindes zuwiderlaufe „später selbst über seine Religionszugehörigkeit (zu) entscheiden“. Und genau dieses Entscheiden ist der springende Punkt.
Die Beschneidung ist der archaische Kern dieser zwei Monotheismen: nicht nur wegen des Offensichtlichen – der Praxis, männlichen Kleinkindern die Vorhaut abzuschneiden, sondern auch wegen der Art der Eingliederung in die religiöse Gemeinschaft, die dabei ins Werk gesetzt wird. Deshalb würde die Entscheidung des Betroffenen für eine Beschneidung dem Vorgang nichts von seiner Drastik nehmen, die Archaik der Eingliederung jedoch wäre aufgelöst.
Aber Entscheidung ist nicht der Modus, in dem diese Religionen ihre Zugehörigkeiten regeln. Aus religiöser Sicht ist der Gläubige kein mündiger Bürger, der seine Religion frei wählt. Denn in der religiösen Innenperspektive gibt es keine Wahl des Glaubens. Das würde ja voraussetzen, dass der spätere Gläubige vorher schon jemand war.
Religiöse Identität als selbstverständliche Identität
Man beschneidet aber, sowohl im Judentum als auch im Islam, gerade kleine Jungs, damit die religiöse Identität die grundlegende, die bestimmende, die selbstverständliche Identität wird aus der heraus man später agiert. Eine Glaubenszugehörigkeit ist nicht dasselbe wie eine Vereinsmitgliedschaft. Sie ist gewissermaßen das Gegenteil davon.
Die Wortwahl der Richter, die in dieser Einschreibung einer Zugehörigkeit in den Körper eine „irreparable“ Veränderung sehen, ist vor diesem Hintergrund zumindest unsensibel. Für den Gläubigen ist dieses sichtbare Zeichen kein Defekt, der einer Reparatur bedarf.
Das Urteil der Kölner Richter ist jedoch auch insofern beachtlich als es mit dem Moment der Entscheidung für einen Glauben – und damit natürlich auch der Möglichkeit, sich dagegen zu entscheiden – das Moment von Freiheit und Mündigkeit in die Religionen einführen möchte. Damit stützen sich die Richter auf ein säkulares Menschenbild, das den Gläubigen zum ebenso mündigen Subjekt machen möchte wie es der Staatsbürger ist.
Das Urteil verlangt dem Judentum und dem Islam nichts weniger als eine Säkularisierung, ein säkularisiertes Verständnis ihrer Religionen ab. Kein Wunder, dass die Religionsgemeinschaften aufheulen. Sie verstehen den Begriff der Religionsfreiheit ganz anders.
Fraglicher Auklärungsversuch
Man könnte durchaus Sympathien für solch einen aufgeklärten Zugang zu den Religionen entwickeln. Aber ob dieser wirklich das bewirkt, was er intendiert, ist fraglich. Denn man darf eines nicht übersehen: Solche Jahrtausende alten Praktiken – die die Kinder einer Gemeinschaft eingliedern und den Bezug zu den Ahnen garantieren soll – sind nicht durch einen richterlichen Beschluss aufzulösen.
Wenn es für Ärzte nunmehr „Rechtssicherheit“ gibt, wenn Ärzte nunmehr keine Beschneidungen von Kleinkindern mehr durchführen werden, da diese verboten sind, dann wird diese Praxis vielleicht eingedämmt, aber sicher nicht beendet.
Und was passiert dann? Dann wird die Durchführung der Beschneidungen wieder in die Gemeinden zurückverlegt: vom OP-Saal zurück auf den Küchentisch. Statt mit einer Lokalanästhesie werden die Babys wieder mit drei Tropfen Rotwein „betäubt“ und statt eines Arztes werden wieder jene die Beschneidungen durchführen, die das früher auch schon getan haben: die Fleischhauer. Ist das der Königsweg aus der Archaik?
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