: Urteil im Sare-Prozeß verschoben
Zweifel an Erstgutachten, das die Angeklagten entlastete / Zusätzliches Foto-Gutachten soll erstellt werden ■ Aus Frankfurt Reinhard Mohr
Die für gestern vorgesehene Urteilsverkündung im Prozeß gegen zwei Polizeibeamte, denen die fahrlässige Tötung des Demonstranten Günter Sare vorgeworfen wird, ist für mehrere Wochen verschoben worden.
Ausschlaggebend für diese Entscheidung der 31. Großen Strafkammer des Frankfurter Landgerichts, trotz der schon gehaltenen Plädoyers noch einmal in die Beweisaufnahme einzutreten, waren Zweifel an einem Gutachten, das die Angeklagten entlastet hatte.
Am 28.September 1985 hatten Fahrer und Kommandant des Wasserwerfers WaWe 9 im Verlauf von Protesten gegen eine NPD-Versammlung in Frankfurt den 36jährigen Günter Sare überfahren und dabei tödlich verletzt. Sekunden davor entstand das Foto eines Amateurfotografen, das einen Mann zeigt, der im Strahl eben jenes Wasserwerfers 9 steht und den viele Augenzeugen im Prozeß als denjenigen wiedererkannten, den sie auf der Hufnagelstraße beobachtet hatten, kurz bevor er unter dem Wasserwerfer verschwand.
Mehrere Augenzeugen hatten in der Verhandlung ausgesagt, der Mann habe allein auf der Straße gestanden, sei vom Wasserwerfer gezielt bespritzt und Sekunden später überfahren worden: der Mann sei Günter Sare gewesen.
Eben dies zog der „Geodäsie“- Gutachter Schürer in Zweifel. Der Fachmann für Landvermessung errechnete anhand der Fotografie eine Körpergröße von 1,87 Meter. Günter Sare aber sei höchstens 1,80 Meter groß gewesen, er könne also nicht der Mann auf dem Foto sein.
Aufgrund dieser Aussage mußten auch die Nebenklage-Vertreter – „im Zweifel für den Angeklagten“ – einräumen, daß auf der Fotografie ein „Unbekannter“ abgebildet sei.
So fiel es den Verteidigern leicht, Freispruch zu fordern, zumal für sie die Beweisaufnahme ergeben hatte, daß die „Angeklagten nicht damit rechnen konnten, daß Sare ohne nach rechts oder links zu schauen auf die Fahrbahn gerannt sei“. Während sie auf einen „nicht zu verhindernden Verkehrsunfall“ plädierten, hielt der Staatsanwalt einem Angeklagten, dem WaWe-Kommandanten Reichert, mangelnde Aufmerksamkeit in jener „Gefahrensituation“ vor und forderte wegen fahrlässiger Tötung eine Geldstrafe von 2.000 Mark.
Die Nebenklage plädierte bei beiden Angeklagten auf Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung ohne konkretes Straßmaß.
In letzter Minute tauchte noch die schriftliche Aussage eines Experten für Fotogrammetrie des Bundeskriminalamtes auf, die erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Meßmethoden des Geodäsie-Gutachters begründete. Daher hat das Gericht einen weiteren Sachverständigen, Professor Döhler vom Fototechnischen Institut Karlsruhe, gebeten, ein Zusatzgutachten zu erstellen.
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