■ Urteil im Reemtsma-Prozeß entspricht den Erwartungen: Einfach dumm gelaufen
Das Urteil des Hamburger Landgerichts fiel fast ganz im Sinne der Nebenklage aus: befriedigend hoch, um abschreckend zu wirken, niedrig genug, um Nachahmern deutlich zu machen, daß es lohnt, ihre Opfer am Leben zu lassen. Der Fall wird für die Öffentlichkeit nun zu den Akten gelegt. Erst wenn der untergetauchte, mutmaßliche Kopf der Bande, Thomas Drach, gefaßt sein wird, werden die Notizen und Erinnerungen wieder hervorgekramt. Reemtsma hingegen wird ein Leben lang an dieser Verschleppung tragen. Sein Buch „Im Keller“ legt davon Zeugnis ab. Es würde sich lohnen, über diese niedergelegten Erfahrungen weiter zu sprechen. Über Gewalt, Demütigung, Angst und Schrecken. Hohle Worte?
Es wäre zu sprechen über eine Gesellschaft, die Verbrecher wie Drach, Koszics und Richter erst hervorbringt. Verbrecher? Das Trio hat letztlich nur gemacht, was sie täglich vorgelebt bekommen: Menschen sind Geld wert, Reemtsma wegen seiner Millionenerbschaft sogar eine ganze Menge. Das war die kalte Qualität der Entführung vom vorigen Jahr: Es ging nicht um Kinderschänder, Heuchelei und Lüge, um Wut und Leidenschaft. Es war ein Verbrechen von, wie Reemtsma sagen würde, „dissoziierten Personen“. Menschen, die nicht mehr moralisch unterscheiden zwischen Leben und Tod, sondern das Leben eines Menschen in Geld aufwiegen.
Genau dieses hat auch die Reaktionen auf den Fall Reemtsma so kühl ausfallen lassen. Die Kritiker lobten meist sein Buch, doch es fällt auf, daß die öffentliche Reaktion sowohl auf das Kidnapping als auch auf seine literarische Verarbeitung eher schulterklopfend verständig ausfiel. Reemtsma hat einen Bericht geschrieben, der von der Welt von morgen spricht. Er hat darin deutlich seinen Wunsch nach Vergeltung formuliert, nach Reue und Auskunft über das, was die Kidnapper fühlten, während sie ihr Opfer aus seinem zivilen Leben rissen. Aber das hat die Verurteilten nicht interessiert, sie wollten nur davonkommen. Sie müssen sich am Ende gesagt haben: Dumm gelaufen.
So scheint auch Reemtsma letztlich ratlos mit seinen Gefühlen. Man hat ihn nicht entführt aus Haß, sondern aus ökonomischem Kalkül – so erst wird die geschäftsmäßige Reaktion der Angeklagten auf sein Ansinnen nach Bekümmernis erklärbar.
Der Prozeß hat davon kaum etwas transparent machen können. Immerhin aber doch dies: Die beiden Angeklagten haben nicht eine Silbe des Bedauerns zum Ausdruck gebracht. Und das war das eigentlich Trostlose des ganzen Verfahrens. Jan Feddersen
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