■ Urdrüs wahre Kolumne: Rosarote Willkommensrituale
„Ein Tag für Mädchen zwischen 12 und 18 vor oder nach der ersten Regel“ soll es werden, was da im bewußt kindlich buntstiftfarbenen Faltblatt „Biologie und Binden sind zu wenig“ als Work-shop und Fest angeboten wird. Zentrales Anliegen der veranstaltenden Damen Inka, Christine und Heike (Lehrerin für Pflegeberufe!) ist ein Festival in rosarot mit „Willkommensritual im Erwachsenwerden“, und allen Teilnehmerinnen werden schon im vorhinein Wünsche zuteil für einen „informativen, spannenden, lustigen, gefühlvollen, wohlgestimmten, megaguten Tag“. Ich finde diesen Flyer irgendwie ein Stück weit ungeil ...
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Der Fünfmark-Sprit als Meilenstein auf dem visionären Weg zur autofreien Gesellschaft wurde von den wahlkämpferischen Grünen ebenso entsorgt wie der Ausstieg aus der Atomwirtschaft, aber subito. Damit sind weite Teile der deutschen Menschheit in ein Sinnvakuum geraten, dem sich dieser Tage in ganzseitigen Illustriertenanzeigen der Herr Otto Müller-Trunk von der Müller Maßhemden Manufaktur aus Hof wacker stellt: „Jeder sollte eine Vision haben. Meine ist es, die besten Maßhemden zu fertigen.“ Wie ich den Typus dieses wackeren Maßschneiderleins zu kennen glaube, wird er sich diese Vision durch kein Vierjahresprogramm nehmen lassen. Menschen in Seins- und Bewußtseinskrise fordern daher unter Tel.: 09281/59 75 den kostenlosen Stoffmusterkatalog an; denn im Gegensatz zum Bündnis 90 vertritt Herr Müller-Trunk seine Programmatik ganz offensiv: „Ob Lob oder Kritik – ich freue mich auf jeden Fall auf Ihre Antwort.“
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Immer wenn ich den Redaktionsleiter von Buten & Binnen in den letzten Monaten irgendwo auf dem Gehweg erspähte, habe ich in pazifistischer Prophylaxe die Straßenseite gewechselt: Unweigerlich hätte ich ihm sonst wegen des stinkefiesen Hetzfilms zum „Stradivari-Fall“ einen Raufhandel angeboten. Umso beglückender, jetzt aus diesem Blatt zu erfahren, daß sich der Kollege von diesem Mief „unter deutschen Dächern“ distanziert. Muß man auch nicht mehr selbstgefährdend Straßen überqueren, kann stattdessen ein Bierchen trinken.
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Gegen Hungerstreiks bin ich stets schon bei den Kumpels von der RAF aufgetreten, denn der kämpfende Mensch ist kein hungerkünstlerischer Fakir, sondern ein rebellisches Individuum, das Leib und Seele durch üppige Mettwurstbrote oder Käsestullen zusammenhält. Deshalb kann ich auch der kollektiven Nahrungsverweigerung durch westfälische Näherinnen gegen die Arbeitsplatzzerstörer des Delmenhorster Unternehmens delmod nicht wortlos zusehen und fordere zu vitamin- und proteinreicher Kost auf; denn nur so wird die proletarische Faust die Wirkung einer Dampframme gegen das bourgeoise Schweinsgesindel entfalten können. Wenn aber die delmod-Geschäftsführung diesen Verzweiflungsakt der Frauen mit den Worten „eine widerwärtige Aktion“ verhöhnt, dann wird es Zeit, daß der heilige Martin persönlich ihnen das modische Gewirk zerreißt, um daraus Taschentücher zu machen, mit denen die Tränen der Beleidigten und Getretenen aufgefangen werden können.
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Falls angesichts der hysterischen Verbote kurdischer Vereine in Bremen Personalmangel für Ehrenämter bei Neugründungen besteht, bin ich gern bereit, mich als Präsident, Schriftführer oder Maskottchen der internen Spionage-Abwehr zu bewerben. Verbindliche Gespräche dazu aber bitte erst nach meinem Urlaub, in den ich mich heute verabschiede: Wenn sich im Ex-Ostblock irgendwo ein Fax-Gerät findet, meldet sich auch in diesen zwei Wochen
Ulrich „Ösalan“ Reineking
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