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■ Urdrüs wahre KolumneFeldgottesdienst erwünscht

Seiner Liebsten eine rote Rose zu schenken, ist sicher keine besonders originelle, aber im allgemeinen immer noch ausdrucksstarke Geste, wenn Unsagbares mitgeteilt und dokumentiert werden soll. Grund genug, am freundlichen Pathos des Rosenkavaliers festzuhalten. Ein Pathos, das aber durch missbräuchliche Nutzung systematisch entwertet wird: Im Wahlkampf setzen smarte Trickbetrüger aller möglicher Parteien bereits auf die suggestive Kraft der beliebig verteilten Einzelrose und am vergangenen Wochenende fand diese werbliche Schamlosigkeit ihren Höhepunkt im monströsen Einkaufs-Bunker „Walle Center“, wo weißbekittelte Filialleiter rote Rosen unter dem anbiederischen Motto „Jetzt sind wir schon seit einem Jahr zusammen ...“ verteilten, um damit das einjährige Bestehen des Zentrums zu würdigen. So aber, genauso, entwertet man Gefühle, macht Ausdrucksformen der Liebe kaputt und das alles nur, damit vorgesetzte Ladenschwengel sich den Arsch vergolden können. Möge Amor mit dem Pfeil mal etwas tiefer zielen!

Ein freundliches Mädchen von einer „Sai Baba-Gruppe im Aufbau“ lädt mich in den verkrempelten Gängen eines Sonderpostenmarkts in Gröpelingen mittels eines Handzettels zum „Bhajan singen“ mit Retreat und Meditation ein. So schiebe ich von Neugier getrieben den Einkaufsrolli hinter ihr her. Erwische die ambulante Propagandistin just an einem Stand mit preisreduzierten Wundertüten und frage nach dem Domizil von Sai Baba in Gröpelingen: „Wenn bei dir auf der Einladung der Stempel mit der Anschrift fehlt, dann hat das sicher einen inneren Grund“, bedeutet sie mir kurz und knapp. Kann man so mit Menschen auf der Suche umgehen? Eine daraufhin von mir quasi als Orakel gezogene Wundertüte enthielt lediglich Lineal, Bleistift, Teletubby-Sticker und Miniblock. Sonst nichts! O großer Sai Baba, du sprichst in Rätseln, aber wirklich!

Verdrossen hängt am Parkplatz Bürgerweide ein ambulanter Händler herum und versucht, an die blitzende Karosse seines eigenen BMW gelehnt, die vorbeizuckelnden Autobesitzer für seine Hightech-Schutz und Reinigungs-Emulsionen zu begeistern, die nur hier und heute und exclusiv bei ihm für einen schlappen Zwanziger pro Kanister zu haben sei, obwohl das Zeug eigentlich das Dreifache wert sei. Indessen: Trotz allseits verbreiteter Benzinwut will niemand außer mir als notorischem Nichtkraftfahrer seinen Darlegungen zu Werterhaltung und perfekter Lackkonservierung folgen und so geht der aus Meppen stammende Hightech-Generalrepräsentant mit seinem Monolog ins Grundsätzliche:

Die Bremer würden als Made im Speck der Bundesrepublik leben und von der Allgemeinheit durchgefüttert werden, wogegen er als BMW-Fahrer und Bayern München-Fan natürlich schon immer gewesen sei. Die Dringlichkeit der Abschaffung bremischer Eigenständigkeit aber sei ihm so richtig klargeworden angesichts der Pfiffe und Sprechchöre im Weserstadion gegen Ulli Höneß, der ja nun verhindert habe, dass ein Haschischraucher neuer Nationaltrainer geworden sei. Außerdem habe man ihm in einem Bremer Parkhaus schon mal den Spiegel abgebrochen und das habe niemanden bei der Verwaltung des Gebäudes wirklich interessiert, weil das wohl auch so ein VEB sei und der Scherf sei ja ohnehin Fußgänger. Und die Nutten hier wären alle aidskrank oder sonstwie bescheuert und überhaupt fände er auch die hiesige Variante von Kohl und Pinkel zum Kotzen, „sag ich ganz offen mal so!“ Bislang hatte ich immer vergeblich nach Gründen für die Selbständigkeit Bremens gesucht: Solche Typen allerdings – die könnte ich als lebendes Argument gegen einen Nordstaat gemeinsam mit Meppen jederzeit akzeptieren...

Ulrich „Lack-Kratzer“ Reineking

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