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■ Urdrüs wahre KolumneTriefsinnige Sonntagsreden

Vom alten Medienexperten E. A. Rauter lernte mehr als eine Generation, „wie die Ideen in die Köpfe kommen“, und dazu gehört eben auch die Wahl des richtigen Zeitpunkts. Ob uns das hoffen lassen kann, dass die Öffentlichkeitsarbeit hinter dem Kabinettsmitglied Fischer Josef es mit offensichtlich über Foto-Software manipulierten Bildchen versucht, den machtgeilen Smokingträger von heute als den heroischen Straßenkämpfer von gestern erscheinen zu lassen? Und das, obwohl alle mir bekannten Frankfurter Front-Theatraliker aus dieser Zeit „den Joschka“ als Spruchfreier geißelten, der immer erst nach der Schlacht am Tresen der Batschkapp mit revolutionären Selbstinszenierungen in die Puschen kam und den man sich tunlichst in der Aktion so weit als möglich vom Hals hielt? Am Ende ist auch der Bullizist, bei dem sich der Herr Bundesaußenminister jetzt so schleimspuckend entschuldigt, eigens vom Bundeskriminalamt für den Fake aufgebaut und abgeordnet worden. Jedenfalls: Für alle unter uns, die auf vertrackte Verschwörungstheorien stehen, ist dieser Fall ein gefundenes Fressen!

Will ich mir gestern am Kiosk ein belegtes Brötchen über den Tresen reichen lassen, kostet ja nur die ausgepriesenen Einsachzig, Serviette inclusive. Nein, Mettwurst habe er nicht mehr bereit, ob es nicht was mit Tilsiter sein dürfe. Tilsiter indessen steht auf meiner kulinarischen Favoritenskala irgendwo zwischen Tofu und Currywurst aus der „Heissen Hexe“ an der Tanke und so frage ich gezielt nach, ob nicht doch noch was mit Mettwurst zu machen sei. Wortlos bereitet der Inhaber des Büdchens das Gewünschte nunmehr doch noch zu, überrascht dann aber mit einer Preisforderung von Zwofuffzich. Wie – hier auf der Preisliste steht doch Einsachtzig?! „Ja, das ist aber jetzt auch eine Einzelanfertigung, ganz speziell für Sie. Ist ja im Restaurant auch was anderes, Tagesgericht oder à la Carte“. Ein Mensch, der die Lektion der Dienstleistungsgesellschaft verstanden hat. Guten Appetit!

Dass SPD-Pressesprecher Werner Alfke es für eine „Schnapsidee“ hält, wenn Martiniprediger Jens Motschmann nunmehr die Verbannung von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Bremer Straßennamenbild fordert, sollten die Hersteller von Korn und anderen Klarheiten energisch zurückweisen. Auf solche Hirnfürze kommt Mensch grade nicht im Suff, sondern in jenem Zustand pietistischer Nüchternheit, der die Theologie dieser Motschmänner eben nie zum souveränen Schweben bringt, sondern sie stets im Staub ihrer triefsinnigen Sonntagsreden festhält. Immerhin zweimal in meinem Leben hatte ich Gelegenheit, diesen uninspirierten Evangelen predigen zu hören und setze ich nach diesen erschütternden Erfahrungen drei gegen eine Flasche des Heiligen Geists der Himbeere, dass ich solcherlei protestantische Fertigkost-Tellergerichte ohne jede intellektuelle Mindesthaltbarkeit Stücker fünf am Nachmittag produzieren könnte, ohne auch nur ein Stückchen verdauungsstörender Exegese zu treiben. Dass die Junge Union als marktwirtschaftliche Knüppelgarde der Schnösel vom Investors Club den Marx und Engels-Dünnschiss dieses Schmalspur-Klerikers so begierig aufleckt, macht die aktuellen Zungenküsse zwischen der Christenunion und den Grünen als Versorgungswerk des einstigen KBW in Bremen besonders appetitlich ...

Wenn die Rollschrottproduzenten von Daimler tatsächlich ihr Areal in den Bereich des Bremer Schlossparkbads ausweiten, bringt das den Wahn des Automobilismus absolut kindgerecht auf den Punkt: Die Eltern aus Sebaldsbrück müssen dann ihre Kurzen mit dem Auto zum Schwimmen fahren, überfahren dabei womöglich andere Kinder oder katapultieren die eigenen bei der Vollbremsung durch die Scheibe und müssen sich dann von den Werbefuzzies der Industrie voller Häme vorhalten lassen, warum sie denn kein Modell mit Airbag für die Rückbank gewählt haben. Wieder mal so ein Grund, den nächstbesten Neuwagen mit dem Vierzehnerschlüssel zu schrammen – aber Vorsicht! Vermutlich ist der Stahl der Karosserie sowieso schon urangehärtet ... (Diesen Verdacht zu streuen, empfehle ich hiermit nach dem erfolgreichen BSE-Coup des Vegetarischen Universums allen ernsthaften Gegnern der individualverkehrten Fortbewegung: Schließlich ist der Wunsch nach Gesundheit und ewigem Leben heute das zentrale Anliegen des mittelständischen Ego.

Schnee! Endlich wieder Schnee! Erfleht für sich und dich vom besternten Himmel über uns zum Wochenende nicht der Christoph Daum, sondern

Ulrich „Rodel“ Reineking

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