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■ Urdrüs wahre KolumneAlles wird gut!

Der gute Weltgeist selbst scheint die Regie zu führen beim Streik der Lufthansa-Piloten: Der Wahnsinn von Inlandsflügen wird eingedämmt und die Luft-hansa-Tickets gelten für den Zugverkehr – so sanieren wir bei lang andauerndem Arbeitskampf die Deutsche Bahn ohne jede Streckenstilllegung. Für Castor-Transporte sind keine Gleiskapazitäten mehr frei und wenn das Ganze sich ausweitet, werden die Transatlantik-Flüge schon bald durch Deckspassage auf der „Queen Elizabeth“ ersetzt, und die schnellen Luft-Trips zum nächstbesten Discount-Guru in Indien oder zum Ballermann nach Mallorca werden durch strapaziöse Reisen ehrbarer Pilger und respektvolle Annäherung ersetzt, derweil die metallischen Kraniche Rost ansetzen: Übrigens auch eine interessante Perspektive für die Columbuskaje in Bremerhaven und die Reste der norddeutschen Werftenindustrie. In diesem Sinne rege ich eine Verdoppelung der jetzigen Cockpit-Forderungen an und fühle mich endlich wieder mal vom Trend verstanden. Ob man in der IG Metall nicht schon mal über 50 Prozent Lohnzuschlag in der Automobil-Industrie nachdenken kann?

Die für das Wochenende geplante lokale Internet-Veranstaltung OPEN NET wurde mangels Nachfrage abgesagt, die evangelische Kirche in Bremen will endlich angehen gegen die Vergötzung der Ware durch immer mehr Ladenöffnungszeiten und die schleichende Verabschiedung der Sonn- und Feiertage. Und auf der Insel Langeoog darf der von den Ausländerbehörden zur Deportation bestimmte Bäckergeselle aus Mozambique nach Protesten aus der Bevölkerung weiterhin kleine und große Brötchen backen: Auch das sind wie der Pilotenstreik dem Wissenden ernstzunehmende Hinweise darauf, dass diese Welt vielleicht noch eine Zukunft hat!

In einem bremischen Wettbüro erlebte ein vertrauenswürdiger Informant dieser Tage, wie zwei Wetter am Buchmacher vorbei folgenden Quoten-Deal verhandelten: „Zwanzig Mark für zehn, dass der Toilettendeckel geöffnet ist ...“ Der andere hielt dagegen – und muss wohl gewonnen haben, seinem zufriedenen Blick nach zu schließen, als die beiden von ihrem Kontrollgang zurücckamen. Das Leben – ein Spiel, für das wir Institutionen allenfalls als Mittler brauchen. Wieder mal was gelernt.

Lebenslanges Lernen, das Studium Generale: abendländische Prinzipien, denen der Dauerstudent sich in vorbildlicher Weise und unter Verzicht auf schnöden Karrierismus und banales Wohlleben in fast schon mönchischer Tradition verpflichtet sieht: Dass jetzt ausgerechnet die Bremer CDU diesen wertkonservativen Menschen zu Leibe rücken und sie von den hiesigen Hochschulen verbannen will, zeigt einmal mehr, wie sehr sie zum Klüngel stromlinienförmiger Wachstums-Fanatiker verkommen ist. Kein Wunder, dass einem Bildungsbürger Schulte in der Nachbarschaft solcher Chewing Gum-Heavy User die Veilchen-Pastille aus der historischen Tabakdose nicht mehr schmecken will.

Durch meine kleine Stadt donnerte gestern der letzte Wikinger: Ein zottelbärtiger Mensch auf einem lärmenden motorisierten Dreirad (Kenner nennen es wohl „Trike“) mit Kennzeichen HH, gewandet in lederfransenbesetzte Montur und mit einem Stahlhelm ausgestattet, der vermutlich als Kopfschutz nur bedingt tauglich ist. Als er die akustischen Emissionen seines Gefährts endlich auf einen halbwegs erträglichen Grad herunterfährt, hört man dafür um so lauter, was aus den riesigen Boxen seiner hinten angebrachten Stereoalage tönt: „Heidi, Heidi / deine Welt sind die Berge“. So einer kann kein ganz schlechter Mensch sein, aber wo steckt nur der Knopf zum Ausschalten?!

Vielleicht sehen wir uns ja morgen bei den Litera-Touren in der Straßenbahn. Einstieg nach 18 Uhr an der Balgebrücke – und dann erzählt bestimmt nichts vom Pferd

Ulrich „Schaffner“

Reineking

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