■ Urdrüs Wahre Kolumne: Kröten zum Verschlucken
Nachdem Axel Schuller seinen Job als redaktioneller Quoten-Unionist beim Weser Kurier geschmissen und seinen neuen Einflussagentenführer im ziemlich unhanseatischen Kaufmann KPS gefunden hat, sollte eine ortsansässige Wahrsagerin mal für ihn einen Blick auf die trübe Zukunft in der Zeit nach dem Gastspiel beim Weser Report werfen: Wartet da etwa schon der Job als Wahlkampfmanager für Schleswig-Holstein? Die Karriere als Begräbnisredner oder die wunderbare Freundschaft mit Dr. Dr. Clemens-Bartholdy-Postel? Wir sehen der Entwicklung mit mildem Interesse entgegen und hoffen teilnahmsvoll, daß der Schulenberg ebenso wie der Novak niemanden verkommen läßt. Und vielleicht gibt es zu Weihnachten sogar eine Freikarte für das nächste Stones-Konzert!
Im Bus traf ich jetzt eine Dame, an deren Mantel sich eine Spinne gehängt hatte. Ich machte darauf aufmerksam und erbot mich, das Tierchen abzustreifen. Das daraufhin erfolgende Kreischen hätte jeden anderen Busfahrer aus der Spur gejagt, doch dieser Held des Nahverkehrs meinte nur trocken „Soll ich im Kreißsaal anrufen?“ Solche Männer braucht das Land!
Verkehrte Welt der paarungswilligen Großstädter: Als das MIX in der Oktoberausgabe erstmals Singles mit Fotos und biografischen Details auf den Bremer Partnerschaftsmarkt warf, gab ich gegenüber Herausgeber Thorsten zu erkennen, daß ich a) kaum glauben würde, daß sich genügend Mädels für diese Art der Präsentation finden und daß b) die Jungs kaum Zuschriften interessierter Damen erhalten würden. Offenbar sind die Modern Times der Balzerei komplett an mir vorübergegangen, denn während es an weiblichen Foto-Debuts kaum mangelt, halten sich die Herren der Schöpfung noch ziemlich zurück mit der Bereitschaft, ihre PartnerInnensuche öffentlich zu dokumentieren. Und bei den Zuschriften ist es umgekehrt wie von mir vorausgesagt: Während die Singelinnen sich mit allenfalls zehn Briefchen begnügen müssen, können die Vertreter des männlichen Geschlechts ganze Stapel mit Anfragen verbuchen. Trau dich, Bursche!
Ein ziemlich durchsichtiges Spektakel offeriert im anderen örtlichen Tagblatt eine Münchner „Werbeagentur“ mit dem wenig phantasievollen Namen Esprit. In der Annonce wird zur Single-Party im „Fünf-Sterne-Hotel-Crowne Plaza“ in Bukarest geladen und als Pauschalpreis für Flug und zwei Übernachtungen werden vom (männlichen Kunden) dafür schlappe zwei Tausender eingefordert. Verheißung für den zahlungswilligen Abenteurer im Armutsland Rumänien ist die Anwesenheit von 250 (heirats-)willigen Damen beim Ball und der „Stadtbummel zum Erholen mit Ihrer neuen Partnerin“ am Sonntag. Als nächste Attraktion für den kontaktsuchenden Globetrottel folgt vielleicht schon bald das Kinderfest in Manila ...
Wie durch und durch politikfähig Familie Grünspecht geworden ist, belegt nicht so sehr das souveräne JAWOLL zum Marschbefehl der NATO, sondern noch viel mehr die Fähigkeit, sich die Worthülsen der professionellen Schwätzer zu Eigen zu machen: Da wird festgezurrt, was das Zeug hält, da muß das eine in trockene Tücher gebracht und für das andere die Option offengehalten werden und die ökologisch sonst so schützenswerten Kröten sind sämtlich zum Verschlucken bestimmt. Komisch ist das Geblubber nur dort, wo so ein süddeutsches Mädel aus der Führungsspitze plötzlich in der prollorientierten Gebrauchslyrik der norddeutschen Küstengang daherschwäbelt „Do musch Budda bei dä Fisch“. Nur weiter so!
Wenn heute der 963. Freimarkt beginnt, möge man bitte auch jener gedenken, die auf der Schattenseite des Lebens stehen: Etwa der VerkäuferInnen, die von ihren Sklaventreibern mit der Kündigungsknute gezwungen werden, sich für König Kunde und Frollein Liberalinsky die Beine in den Boden zu stehen, während die anderen sich an Liebesapfel und Ringelspiel erfreuen. Mahnt in Erinnerung an den 7. Tag des Herrn ...
Ulrich „BoyCott“ Reineking
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen