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■ UrDrüs wahre KolumneGeheimnis der Volkstümlichkeit

Kinder, wie die Zeit vergeht Doch der Weser-Report-Stammtisch kommt nunmehr schon seit vielen Jahren treu und fest im Hanseaten-Zelt auf dem Freimarkt zusammen. Seinerzeit regierte hier Gesellschaftsreporter Martin „Machtien“ Globisch über das eitle Pack der fliegenden Zahnärzte, Nachtclubbetreiberinnen und die dazugehörigen politischen Freitrunk-Abonnenten, bis der Herr Cheeeef Klaus Peter Schulenberg im geschmacklosen Hamstermantel vor Neid fast platzte und den getreuen Chronisten bremischer Halbseide in die Wüste schickte. Die Bremen-Privat-Nachfolgerin hat zwar nie die literarische Dichte von Machtien erreicht, betitelt ihr Ergebnisprotokoll von der letzten Freimarkt-Sause dieser Mischpoke aber immerhin „Wie eine große Familie“. Besitzer des gutbremischen COSA NOSTRA-Treffs: Familie Renoldi, dem Amte wohlbekannt. Und wenn der Clan jetzt auch noch eine reisende Boxbude aufmacht, empfehle ich gern einige junge Leute aus der großen Familie zum Mitreisen als Alternative zum Sandsack.

Das andere Blatt der Weserfamilie konnte an seinem Stammtisch im Bayernzelt immerhin Bürgermeister Hening Scherf begrüßen, und wie das farbige Beweisfoto im Kurier festhält, soff der Mann der frommen Denkungsart dabei die frische Kuhmilch aus der Festbier-Litermaß. Wie er es dabei schafft, dennoch so wachholder-mild abgefüllt wie ein Amtmann in die Kamera zu lächeln, bleibt das Geheimnis jener Volkstümlichkeit, die in der Tiefe des Lebkuchen gründet.

Selten hört man dieser Tage aus sozialdemokratischem Offizialmund etwas anderes als „Augen zu und durch“. Umso mehr ist UnterbezirksvorsitzenderWolfgang Grotheer für seine Forderung zu preisen, nicht am Freimarkt-Areal herumzuknabbern, sondern die geplante Messehalle VII auf das ehemalige Güterbahn-Gelände zu setzen. Das befriedigt die Parteispender aus der Baubranche, gibt ebenfalls Gelegenheit zur Entsorgung verdienter Wasserträger und lässt die Bürgerweide ungeteilt: Unser erster Kandidatenvorschlag für den neuen Schausteller-Ehrenpreis „Gräfin – Emma-Taler“.

Als ich in jener Zeit, da ganz Berlin noch wie jeder vernünftige Arsch durch eine Furche gespalten war, die Mauer regelmäßig in ehrenamtlicher Freizeittätigkeit bemalte, gab es keine hippe-hoppe-lockeren Spraydosen aus dem Baumarkt: „Solidarität mit den Freiheitskämpfern/Sabotiert die Fahndung/Zerstecht die Autoreifen der Bullen“ – solche appellative Gebrauchslyrik mußte noch mit Farbwalzen über der Pappschablone ausgerollt werden und den schwarzen oder roten Fünfzack-Stern malten wir noch routiniert mit freier Hand aus dem Farbeimer. Heute aber ist der Farbvandalismus frei von Sinn und Verstand, dafür aber zu einem Wirtschaftsfaktor geworden, der die Lackbranche einerseits und die Graffiti-Soko andererseits in Schwung hält. Könnte doch Innensenator Schulte einen Wettbewerb für den besseren Schnack auf Mauern und Wänden ausschreiben, und sollte in jedem der verbliebenen Freizis ein Kurs in prägnanter Ausdrucksform angeboten werden, damit aus Tac-Schmiererei von Narrenhand wieder eine rotzfreche Asphaltkultur entsteht, die sich am Wohl von Mensch und Umwelt orientiert. Dafür gäbe sicher jeder Wüstenrot-Bausparkunde ein paar Quadratmeter Fassade her: olle Honnecker hatte seinerzeit doch auch nix dagegen!

Mit dem rot-grünen Leo darf das türkische Militär nur dann über Greise und Säuglinge walzen, wenn dies unter Beachtung der Menschenrechte geschieht – die Kriegsflotte des NATO-Partners aber darf gleich ganz ohne humanitäres Brimborium mit Material aus bremischer Werftenindustrie aufgerüstet werden. Und Friedensfreund Volker Kröning hat gar nix dagegen, denn „ein deutscher Alleingang macht keinen Sinn“. Weil wenn der eine den Auftrag nicht annimmt, macht-s eben der andere. Warum hat niemand diese historisch erprobte Strategie angewandt, als es um den Körperverletzungsauftrag an den mittelständischen Sicherheitsunternehmer Stefan Buben ging? fragt in grimmiger Empörung dessen Sportsfreund

Ulrich „Judoka“ Reineking

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