Unterwegs mit einer Familienhelferin: Zum Wohle des Kindes
Jugendhelfer wie Daniela Raap haben einen seltsamen Beruf: Wenn sie Fehler machen, ist am Ende ein Kind tot. Läuft alles gut, honoriert die Arbeit niemand. Wie im Fall einer vierfachen Mutter. Ein Hausbesuch.
PINNEBERG taz | Miriam Schwarz und Daniela Raap sitzen sich gegenüber auf dem Sofa: die Mutter und die Frau von der Jugendhilfe. Schwarz, die in Wirklichkeit anders heißt, wirkt fast etwas streng, in Grau und Wolle gekleidet, wäre da nicht ihr rötlicher Pferdeschwanz. "Was denn - Sie tragen Wollpullover?", fragt ihre Betreuerin Raap. "Ich dachte, das machen nur Pädagogen." "Es gibt einen Unterschied", erwidert Schwarz. "Pädagogen tragen immer Wolle." Es hat lange gedauert, bis die beiden so frotzeln konnten. Denn Miriam Schwarz (31) ist ein Fall, der gearbeitet wird. So nennt man das, sagt Raap, die Diplompädagogin.
Jugendhilfe ist ein seltsamer Beruf: Wenn Raap und ihre Kollegen ihre Fälle gut arbeiten, liegt am Ende kein toter Junge in der Kühltruhe, ist kein kleines Mädchen verhungert. Dummerweise ist das nie eine Meldung wert, im Gegenteil: Solange kein Kind in Gefahr scheint, stellt sich vor allem die Frage, ob die Hilfe überhaupt nötig ist.
Mit Miriam Schwarz und ihren vier Kindern arbeitet Daniela Raap seit drei Jahren. Ihre Geschichte klingt nicht besonders spektakulär, aber immerhin sei sie eine Erfolgsgeschichte, sagen beide. Am Anfang sah es danach nicht aus: Wenn Raap in die Wohnung kam, die sauber, aber düster und ungemütlich wirkte, hatte Miriam Schwarz Angst, die andere könnte ihr die Kinder wegnehmen, dem Ex-Freund etwas erzählen, schlechte Berichte schreiben. Vertrauen herstellen, sagt Raap, ist das erste Ziel der Jugendhilfe.
Schwarz verließ die Hauptschule ohne Abschluss, schwanger. Auf die Älteste, heute ein Teenager, folgten Zwillinge, vor zwei Jahren noch ein Mädchen, die Kinder haben verschiedene Väter. Es gab immer Männer in ihrem Leben, die ihr sagten, wo es lang geht, sagt sie. Erraten, was die Männer von ihr wollten - das half, Ärger zu vermeiden.
Und dann kam die Phase, als alles irgendwie zu viel wurde: die Trennung vom damaligen Freund, die Kinder. Die Zwillinge gingen nur noch selten in die Kita, und wenn sie auftauchten, wirkten sie verwahrlost. In der Kita machten sie sich Sorgen, jemand alarmierte den Vater, das Jugendamt. Das schaltete die "Miko Kinder- und Jugendhilfe" ein, Raaps Arbeitgeber. Miriam Schwarz wurde zum Fall.
"Ich habe nie bezweifelt, dass Frau Schwarz sich um ihre Kinder kümmert", sagt Raap. Aber sie sah die Erschöpfung der Mutter, ihr Bemühen, eine glatte Fassade zu liefern. Sie sah, dass dieser Fall sie viel Arbeit kosten würde. Drei Jahre, mehrere Besuche in der Woche, teilweise waren mehrere Pädagogen an der Hilfe beteiligt. Dass Schwarz sich geändert hat, dass sie jetzt besser zurecht kommt mit ihrem Leben, das sieht Raap schon an der Wohnung, sagt sie. Nicht mehr düster, sondern gemütlich wirke diese jetzt. Vor der fliederfarbenen Wand steht ein Bücherregal mit antiquarischen Schillerbänden, daneben ein Schrank voller Jugendbücher: Die Jungs finden Vampire klasse.
Das Ausmaß und die Kosten der "Hilfen zur Erziehung" sind in den vergangenen Jahren bundesweit stark gestiegen, bei einzelnen Angeboten haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt. In Schleswig-Holstein gab es allein im Jahr 2007 bei den "sozialpsychiatrischen Familienhilfen" einen Anstieg von 52 Prozent, trotz sinkender Kinderzahl.
Die Gründe? Unter anderem neue Gesetze zum Kinderschutz, und es wird mehr gemeldet, weil genauer hingeschaut wird: von Kitas, Schulen, Ämtern oder Ärzten. Gleichzeitig wachsen die Probleme, sagt Jens Petri, Raaps Chef: "Armut, mehr psychische Krankheiten bei Eltern und Kindern, wirtschaftlicher Druck, Stress." Die Jugendhilfe habe heute mit "Multiproblemfamilien" zu tun, mit Alkohol, Sprachlosigkeit, Gewalt.
Und ist die Arbeit nun erfolgreich? Meist sorge die Jugendhilfe für "eine fundamentale Verbesserung", sagt Petri. "Manchmal heißt das nur, dass etwas nicht schlimmer wird, dass ein Kind nicht aus der Familie genommen werden muss." Petri ärgert, dass ständig über die Kosten gesprochen wird: "Als könnte die Feuerwehr was dafür, wenn es häufiger brennt." Rund 40 Euro zahlt das Jugendamt für jede Stunde bei einem "Fall". Daraus muss ein Unternehmen wie Miko die Gehälter bezahlen, die Büromiete, die Verwaltungskosten. "Die Summe ist ziemlich ausgereizt", sagt Petri.
Die Politik sieht das anders: Die SPD in Hamburg dachte darüber nach, den Rechtsanspruch auf Hilfen aufzuheben. Das ist offiziell vom Tisch, jetzt wird ein neues Modell getestet: mehr Gruppen und Anlaufstellen statt Hausbesuche. Im Kreis Pinneberg, wo Miko sein Büro hat, beschloss die Politik, das Budget für Jugendhilfe zu begrenzen - auf "echte Kindeswohlgefährdung", und die Hilfe sollte dann auch nur begrenzt sein. Aber wann beginnt Kindeswohlgefährdung? Welche Hilfe ist sinnvoll? Die Anbieter sagen: professionell und früh, und dass jeder eingesetzte Euro das Mehrfache spart. Beweisen lässt sich das nur statistisch, doch kaum im Einzelfall.
Für Familie Schwarz endet demnächst die Betreuung. Miriam Schwarz schwankt zwischen Erleichterung und Furcht: Ihr wird etwas fehlen ohne die regelmäßigen Besuche. Daniela Raap hätte gern noch ein wenig weitergemacht, wegen der Kinder: Hochbegabt sei die Älteste, besucht aber nur die Hauptschule und schreibt dort schlechte Noten. Tragisch, sagt Raap, eigentlich müsste man was tun, aber was?
Manchmal rufen sie später bei Raap an, die Familien, die sie eine Weile betreut hat. Das geht dann von Raaps Zeit ab, von der Arbeitszeit, die für andere, neue Fälle gebraucht wird. Raap weiß nicht recht, was besser ist: Wenn sich die Leute melden, aber sie nichts mehr für sie tun kann. Oder wenn sie nie wieder etwas von ihnen hört. Klar ist nur: Im schlimmsten Fall liest sie von der Familie in der Zeitung.
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