:
Unterwegs im Mobillazarett ■ Von Ralf Sotscheck
Möchten Sie wissen, warum ich erkältet bin? Ja? Es fing im Flugzeug an. Die Maschine von Wien über London nach Dublin war ausgebucht, es gab nur noch Mittelsitze. Ich hasse Mittelsitze, weil man mit zwei Leuten um die Armlehne kämpfen muss. Diesmal war es aber noch viel schlimmer. Kaum hatte ich Platz genommen, da fing die Mitreisende am Fensterplatz so heftig zu niesen an, dass die Scheibe beschlug. Ihr Mann, der auf dem Mittelsitz vor mir saß, reichte ihr eine Packung Papiertaschentücher nach hinten.
Ich bot ihm an, die Sitze zu tauschen, damit er neben seiner immer noch niesenden Gattin sitzen konnte, doch er lehnte dankend ab: Er wolle seiner Frau nicht zu nahe kommen, sie sei ein Krankheitserregermutterschiff, und er wolle sich ja nicht anstecken. Das wollte ich auch nicht, und so rutschte ich so weit nach links wie möglich, ohne dass es aufdringlich wirkte. Der Nachbar merkte es aber doch. „Das nützt gar nichts“, versicherte er mit belegter Stimme, „mir geht es noch schlechter als ihr.“ Zum Beweis schoss er eine Niessalve ab, die der Fensterplatznieserin ein bewunderndes „Alle Achtung“ abrang. Unterdessen füllte ein Kleinkind hinter uns die Kotztüten mit dem dafür vorgesehenen Material, links vor uns verlangte eine ältere Dame ständig nach Wasser, weil ihr „nicht gut“ sei.
Ich kam mir vor wie in einem mobilen Lazarett. Damit sämtliche Viren und Bakterien auch genügend Zeit hatten, sich auszubreiten, kreisten wir eine halbe Stunde über dem Londoner Flughafen Heathrow, dem erbärmlichsten Flughafen Europas, der zu jeder Jahres- und Tageszeit überlastet ist. Wider Erwarten landete die Maschine dann doch noch, und ich machte mich so schnell wie möglich aus dem Staub.
Zwei Stunden Aufenthalt – ein heißer Whiskey im ungemütlichen Flughafen-Pub vielleicht, zur Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten? Kaum hatte ich bestellt, da ging der Feueralarm los. Offenbar war bei McDonald's nebenan ein Cheeseburger in Flammen aufgegangen, von weitem war aber nichts zu sehen. Das Personal flüchtete jedenfalls Hals über Kopf, und auch die Angestellten der übrigen Läden – einschließlich der Kneipe – suchten das Weite.
Um die Fluggäste kümmerte sich niemand. Wegen der penetranten Alarmglocken war auch keine Ansage zu verstehen. Wir beobachteten interessiert, wie eine Kolonne Feuerwehrmänner beherzt in das US-amerikanische Spezialitätenrestaurant eilte. Sie bekamen die Sache ziemlich schnell in den Griff, das Fleischbrötchen wurde gelöscht und als pikante Spezialität „McCharcoal“ verkauft. Dann hörten die Alarmglocken auf zu schrillen. Die benommenen Passagiere vernahmen über Lautsprecher, dass die Angestellten nun gefahrlos an ihre Arbeitsplätze zurückkehren könnten.
Die Lust auf ein paar heiße Whiskeys war mir dennoch nicht vergangen, dazu holte ich mir in der Flughafenapotheke eine Packung Kopfschmerztabletten. Der kurze Flug nach Dublin verlief reibungslos, was möglicherwiese daran lag, dass ich kurz nach dem Start eingenickt war und erst zur Landung wieder aufwachte – gerade rechtzeitig für die Ansage der Stewardess: „Willkommen in Heathrow.“ Als sie sich korrigierte und versicherte, wir seien in Wirklichkeit in Dublin gelandet, hatte ich meinem Sitznachbarn schon die Schulter nassgeweint. Er musste niesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen