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Untersuchungsausschuss-HickhackPolit-Klamauk im Kampf gegen den Terror

Aus Sorge vor Salafisten wollte Niedersachsens CDU-/FDP-Opposition einen Untersuchungsausschuss. Nun lehnten sie ab, weil auch ihre eigene Regierungszeit ins Visier soll.

Niedersachsens Kampf gegen Extremismus: Als Terrorist verkleideter Karnevalist in Braunschweig. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HANNOVER taz | CDU und FDP haben im niedersächsischen Landtag gegen einen von ihnen selbst beantragten Untersuchungsausschuss zur Aufklärung von Defiziten bei der Terrorbekämpfung gestimmt. Der Grund für ihren Stimmungswandel ist eine Ausweitung des Untersuchungszeitraums.

Christdemokraten und Liberale wollten eigentlich nur unter die Lupe nehmen, ob die Behörden seit der Regierungsübernahme von SPD und Grünen 2013 beim Beobachten salafistischer Gefährder Fehler gemacht haben. Die rot-grünen Regierungsfraktionen setzten stattdessen eine Untersuchung für die Zeit seit Beginn des Syrien-Krieges 2011 durch – verhindern konnte Rot-Grün den Ausschuss nicht, da dieser von mehr als 20 Prozent der Abgeordneten gefordert wurde. Damit könnten auch Pannen aus der Regierungszeit von Ministerpräsident David McAllister und seinem als Hardliner bekannt gewordenen Innenminister Uwe Schünemann (beide CDU) ans Licht kommen.

Untersucht werden soll nach dem Willen der Opposition etwa die Attacke der 15-jährigen Safia S., die Ende Februar im Hauptbahnhof in Hannover einen Polizisten mit einem Messer angegriffen hatte. Auf der Agenda steht auch die Absage des Fußball-Länderspiels Deutschland gegen die Niederlande in Hannover im November – und die Ausreise radikalisierter Salafisten aus Hildesheim, Wolfsburg und Hannover in den syrischen Bürgerkrieg.

Der Kampf der niedersächsischen Gotteskrieger auf Seiten des sogenannten Islamischen Staates (IS) habe aber bereits 2011 eingesetzt, argumentieren die Parlamentarischen Geschäftsführer von SPD und Grünen, Grant Hendrik Tonne und Helge Limburg. Seitdem habe es deutlich mehr Ausreisen gegeben, auch aus Niedersachsen. Auch die Überwachung der Salafistenszene habe schon unter der Verantwortung der schwarz-gelben Vorgängerregierung begonnen.

Teurer Ausschuss

Teuer wird der Terror-Untersuchungsausschuss in Niedersachsen in jedem Fall werden.

Allein der Bau eines einbruch- und abhörsicheren Raums im Landtag, viele der zu untersuchenden Akten von Polizei und Verfassungsschutz gelten als „streng geheim“, soll geschätzte 300.00 bis 700.000 Euro kosten.

Intensiv durchleuchtet werden deshalb auch Landtagsbeschäftigte, die für den Untersuchungsausschuss arbeiten. Sie werden Fragen nach psychischen Krankheiten, Alkohol- und Drogenabhängigkeit oder finanziellen Problemen beantworten müssen.

Wann der Ausschuss mit seiner Arbeit beginnt, steht dagegen noch nicht fest. SPD und Grüne drängen auf einen schnellen Start, möglichst noch kommende Woche.

Insider-Informationen aus der Regierungszeit McAllisters aber wollen CDU und FDP aber offenbar um jeden Preis zurückhalten. Ein „Verfassungsbruch mit Ansage“ sei die Ausweitung des Untersuchungszeitraums, polterte etwa FDP-Fraktionsvize Stefan Birkner vor dem Landtagsplenum in Hannover. „Der Untersuchungsgegenstand“ werde „verwässert“, jammerte der Jurist – schließlich müsse sich der Ausschuss aufgrund der rot-grünen Intervention „durch zwei weitere Jahre mit Akten“ wühlen.

Kaltschnäuzig beiseite gewischt werde „die effektive Kontrollfunktion der Regierung durch die Opposition“, kritisierte auch der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Jens Nacke. Er kündigte auch gleich eine Klage vor dem niedersächsischen Staatsgerichtshof in Bückeburg an. Denn einem „Verfassungsbruch“ könne die Opposition unmöglich zustimmen.

Damit endete die Landtags-Sondersitzung am späten Mittwochnachmittag mit einem eher grotesken Bild: SPD und Grüne setzten den von Schwarz-Gelb beantragten Untersuchungsausschuss mit ihrer Ein-Stimmen-Mehrheit durch – CDU und FDP stimmten geschlossen gegen den eigenen Antrag. Dabei hatte CDU-Mann Nacke die islamistisch-salafistische Gefahr zuvor geradezu beschworen: Deutschland drohten „multiple Anschlagsszenarien“ durch „mehrere Zellen“ an „mehreren Tagen“, zitierte er aus einem Interview, das der Bundesverfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen der Zeitung Die Welt gegeben hatte.

Dass selbst die Polizeigewerkschaften GdP und DPolG schon seit Langem klagen, das Herbeischaffen der Akten für den Ausschuss binde „nahezu eine Hundertschaft Polizeibeschäftigter“ und erschwere so die Terrorbekämpfung, interessierte die Opposition nicht. Falls nötig, riet FDP-Fraktionsvize Birkner, solle das mit 61 Milliarden Euro hoch verschuldete Niedersachsen eben neue Stellen schaffen.

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