Unterstützung für USA im Irak-Krieg: BND horchte Asylbewerber aus
Der Bundesnachrichtendienst fragte seit den neunziger Jahren offensichtlich systematisch Migranten aus dem Irak aus, um an militärische Informationen zu gelangen.
Wuchtig erhebt sich das graue Haus des ehemaligen NS-Wehrkreiskommandos inmitten eines Wohngebiets in Berlin-Wilmersdorf. In dem Bau am Hohenzollerndamm 150 haben sich Filmfirmen niedergelassen und eine Produktionsfirma. Ein Mieter passt nicht recht in das Gebäude. An der weißen Gegensprechanlage im Foyer von Haus 7 steht lapidar "K. Mustermann", eine Kamera filmt jeden Besucher.
BND-Untersuchungsausschuss: Am Donnerstag findet die 124. Sitzung des Ausschusses seit April 2006 statt. Insgesamt wurden rund 140 Zeugen befragt. Es geht u. a. darum, welche Informationen von Deutschland während des Irakkrieges an die USA geliefert worden sind. Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) hatte eine Beteiligung an dem Krieg zuvor klar ausgeschlossen.
Frank-Walter Steinmeier: Der SPD-Kanzlerkandidat wurde in seiner Funktion als Kanzleramtschef und Koordinator der Geheimdienste unter Gerhard Schröder bereits fünfmal befragt.
Hier unter dem Giebel residiert die "Hauptstelle für Befragungswesen" - eine Unterabteilung des Bundesnachrichtendienstes (BND). Die Mitarbeiter sind BND-Agenten. Sie sind Profis im Befragen, aber Antworten geben sie nur ungern. Ihre Aufgabe ist es, neu ankommende Asylbewerber nach politisch interessanten Informationen über ihre Heimatländer auszuhorchen. Im Vorfeld des Irakkriegs haben die deutschen Beamten auf diesem Wege nach taz-Recherchen kriegsrelevante Hinweise erhalten und an die Amerikaner geliefert - entgegen allen Beteuerungen der deutschen Regierung.
Möchte man etwas über die Arbeit der Hauptstelle wissen, kommt man in Wilmersdorf nicht weiter. Von einer Stimme am anderen Ende der Gegensprechanlage wird der Reporter gebeten, das Gelände zu verlassen. Um mehr über die Hauptstelle zu erfahren, muss man durch die Republik reisen und sich mit Asylbewerbern unterhalten.
Als Ahmad al-Badri nach seiner Flucht im Oktober 2001 in Deutschland ankommt, hat er sich seine Begrüßung anders vorgestellt. Der Iraker musste damals schnell sein Land und seine Herrenboutique in Bagdad verlassen, weil er zum Militärdienst gezwungen werden sollte. Nachdem al-Badri sein Zimmer im Asylbewerberheim in Lübeck bezogen hatte, klopfte es das erste Mal an der Tür. Drei Männer mit schwarzen Anzügen standen in seinem Zimmer und wollten sich mit ihm unterhalten. Insgesamt viermal besuchten ihn die Herren vom BND. Anfangs glaubte al-Badri, die Befragungen hätten mit seinem Asylantrag zu tun. Bald merkte er, dass die Fragen in eine andere Richtung gingen: Wo befindet sich der Sajwd-Palast von Saddam Hussein genau? Wo gibt es Militärcheckpoints? Wann patrouillieren Militärs nachts durch den Stadtteil al-Mansur? Orte, die er nannte, musste er auf einem Stadtplan von Bagdad genau zeigen. Der 42-Jährige war ein Glücksfall für die Geheimdienstler. Sein Geschäft in der Al-Amirat-Straße lag nur 500 Meter entfernt vom Hauptgebäude des irakischen Geheimdienstes . Zudem diente al-Badris Vater viele Jahre als Drei-Sterne-General in der irakischen Armee. Der Flüchtling besaß also Informationen, die hochspannend waren für die deutschen Schlapphüte und ihre Kollegen vom US-Militär. Unklar ist, ob der Mann, der während der Verhöre nie sprach, Amerikaner war. Solche Befragungen waren in den vergangenen Jahren keine Seltenheit. Nach taz-Recherchen fragte der BND seit den 90er-Jahren systematisch Migranten aus dem Irak aus, um an militärische Informationen zu gelangen. Die Informationen der Exiliraker flossen über den US-Militärgeheimdienst DIA mit in die Zielplanungen für den Irakkrieg ein.
Diese Erkenntnisse widersprechen den Aussagen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der 2006 erklärte: "Der BND und jeder seiner Mitarbeiter war selbstverständlich an die politische Grundentscheidung der Bundesregierung gebunden und eine aktive Unterstützung von Kampfhandlungen ausgeschlossen." Um Kampfhandlungen vorzubereiten, muss man Ziele erfassen. Dabei waren die Deutschen gerne mit Informationen behilflich. Die Info-Lieferung an die US-Dienste wurde nicht einmal nach dem klaren Nein der Schröder-Regierung zum Irakkrieg beendet. Gerade die Ablehnung des Irakkriegs brachte jedoch Schröder 2002 die Stimmen, die ihn die Bundestagswahl gewinnen ließen. Stets hieß es, der BND habe ausschließlich geholfen, nichtmilitärische Ziele - wie Krankenhäuser, Schulen oder Botschaften - zu identifizieren, damit diese nicht beschossen würden. Dazu ließ der BND 2006 verlauten, "dass den kriegsführenden Parteien keinerlei Zielunterlagen oder Koordinaten für Bombenziele zur Verfügung gestellt worden sind". Daran muss heute gezweifelt werden.
Am frühen Morgen des 22. März 2003 wurde im nordirakischen Mossul der Marmorpalast "Palace of the Lances" von Saddam Hussein getroffen. Auf die Baracken der Republikanischen Garde und die Zentrale des Militärgeheimdienstes von Saddam in Mossul flogen Bomben. Auch diese Auskünfte für die Ziele kamen aus Deutschland, erfasst durch das geheime BND-DIA-Programm.
Rückblende: Anfang Januar 2001. Zwei Angehörige des US-Militär-Geheimdiensts Defense Intelligence Agency (DIA) kommen in die Lobby eines Leipziger Neubau-Hotels, nicht weit vom Tröndlinring. Dort werden sie von zwei Kollegen des Bundesnachrichtendienstes begrüßt. Die BND-Männer stellen den Pentagon-Spezialisten einen Iraker Mitte 40 vor. Der Iraker wurde zufällig bei einer Ausweiskontrolle des Bundesgrenzschutzes aufgespürt, er war eine außergewöhnliche Entdeckung: Der Mann arbeitete als Oberst in Saddams Geheimdienst in Mossul. Obwohl er anfangs eine Zusammenarbeit verweigerte, überzeugten ihn die Deutschen mit dem Versprechen, seine Familie aus dem Irak zu holen.
Drei Tage lang wurde der Iraker von dem BND-DIA-Team befragt. Genauestens wurden Satellitenaufnahmen von Mossul durchforstet und allerlei Informationen zur Baath-Partei, den Sicherheitskräften und den Residenzen von Saddam in der Stadt zusammengetragen. "Viele der Ziele, die später im Krieg in Mossul bombardiert wurden, kamen aus eingehender Befragung dieser wichtigen Quelle", sagt ein ehemaliger DIA-Mitarbeiter, der an den Befragungen teilgenommen hat, gegenüber der taz. Die BND-Interviews waren natürlich nur ein Baustein bei der Zielerfassung der US-Militärs. Aber neben Satellitenaufnahmen und eigenen Erkenntnissen der CIA flossen die Informationen der irakischen Flüchtlinge in die Planungen der Amerikaner mit ein. "Wir haben nach kriegsrelevanten Informationen gesucht. Manchmal haben wir an der Befragung der Flüchtlinge teilgenommen. In anderen Fällen bekamen wir die Ergebnisse einfach als Teil der normalen Zusammenarbeit zwischen DIA und BND übermittelt", so der ehemalige US-Geheimdienstler.
Die irakischen Flüchtlinge in Deutschland waren wichtige Informanten für die USA. In die Vereinigten Staaten reisen vergleichsweise wenig Iraker ein - schon allein weil es keinen Landweg zwischen den USA und Irak gibt, der eine Flucht vereinfacht. Nach Deutschland flüchteten dagegen allein zwischen 2000 und 2005 über 46.000 Iraker.
Um solche potenziellen Quellen sprudeln zu lassen, gründete Deutschland bereits 1958 die "Hauptstelle für Befragungswesen", die in mindestens sieben "Grenzdurchgangslagern" zwischen Berlin und Nürnberg Filialen betreibt. In den Jahren 2000 bis 2005 wurden 4.639 Aussiedler von den Beamten interviewt. Auf eine Kleine Anfrage nach dem Zweck der Hauptstelle antwortete die Bundesregierung 2006: "Es wird davon ausgegangen, dass die Personen über Wissen verfügen könnten, welches […] von außen- als auch von sicherheitspolitischer Bedeutung sein könnte." In einem Brief des Landesamts für Gesundheit und Soziales Berlin aus dem Jahr 2004 werden Asylbewerberheime angewiesen, den BND-Beamten "Zugang zu ermöglichen und die Hauptstelle zu unterstützen". Rechtliche Grundlage für ihre Arbeit sei das "Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus".
Für die Schnüffler vom Nachrichtendienst waren Iraker interessant, die direkt aus ihrer Heimat nach Deutschland kamen. Auch Bäcker, wie der Kurde Ziryan Jalal. Er geriet durch seine Herkunft in das Raster der Fahnder. Jalals Heimatstadt ist Baquba - das zweitwichtigste Erdölzentrum des Irak. Im schleswig-holsteinischen Grenzdurchgangslager Horst wurde er 2002 zweimal von fünf Beamten befragt. Er musste auf Stadtplänen minutiös zeigen, wo das Geheimdienstgefängnis, die Schule von Saddam Husseins Baath-Partei, das Militärkrankenhaus und die Militärsporthalle liegen. Nach drei Monaten bekam Jalal eine Aufenthaltsgenehmigung. Einige seiner Landsleute mussten darauf mehrere Jahre warten.
"Frühe Beiträge der Deutschen gab es für Gebäude des irakischen Nachrichtendienstes und der Baath-Partei und Paläste von Saddam Hussein", bestätigt der ehemalige Pentagon-Mitarbeiter Marc Garlasco die Aussagen von Jalal. Es waren nicht die Meldungen der Deutschen allein, die zu Bombenabwürfen führten, aber unsere Entscheidungen über mögliche Ziele wurden dadurch beeinflusst. Sie haben andere Informationen über harte Ziele bestätigt, die wir später ins Visier genommen haben", sagte Galasco 2008 dem Spiegel. Er arbeitete als Leiter der "High-Value-Target-Abteilung", die für die Zielerfassung im Irak zuständig war. Heute ist er Militärberater der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
Erstmals hat die taz ausspionierte Iraker in Deutschland ausfindig machen können. Asylbewerber wie Sabah Karim. Auch der Kurde aus dem nordirakischen Makhmur lieferte anscheinend relevante Informationen. Nachdem er 2002 im Asylbewerberheim in Berlin angekommen war, schilderte er in zwei Interviews, wo die Checkpoints des irakischen Militärs auf der Straße zwischen seinem Heimatort und der Provinzhauptstadt Mossul liegen. Ein paar Wochen später, im April 2003, erlangte die Gegend zweifelhaften Ruhm: Amerikanische F15-Kampfflugzeuge bombardierten beim Versuch, diese Checkpoints zu treffen, ihre eigenen Soldaten und kurdische Verbündete. Die Los Angeles Times nannte den Angriff das bis dahin "blutigste Friendly Fire des Irakkrieges". 18 Menschen starben dabei und 45 wurden verletzt.
Der Bundesnachrichtendienst wollte sich "aus grundsätzlichen Erwägungen" nicht zu den taz-Recherchen äußern. Das bedeute aber nicht, dass die Vorwürfe inhaltlich zutreffen, sagt BND-Sprecher Stefan Borchert. Für den BND ist die Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten vor und während des Irakkriegs kein Thema mehr: "Der Fallkomplex Irak wurde im ersten Untersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages abschließend behandelt", so Borchert. Für die irakischen Asylbewerber ist der "Fallkomplex" jedoch noch nicht beendet. Auch nach Ende des Irakkrieges setzte der BND seine Verhöre von Flüchtlingen fort. Said Aso*, ein ehemaliger hochrangiger Polizist aus Mossul, wurde nach seiner Einreise in Deutschland 2005 dreimal von Geheimdienstexperten in die Mangel genommen. Eine Frau und zwei Männer aus Berlin fragten ihn im Asylbewerberheim in Chemnitz aus. Beim zweiten Gespräch in der Pförtnerloge bemerkte der erfahrene Polizist in einer Raumecke hinter einer Gardine ein Loch. Seine Vermutung: Die deutschen Geheimdienstler hatten die Gespräche mit ihm illegal mitgeschnitten.
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz