Unternehmer, Politiker und Künstler, selbst die Polizei ist sauer: Radio Multikulti muss bleiben, weil
Der Rundfunk Berlin-Brandenburg will sein Radio Multikulti zum Jahresende abwickeln. Die taz spart nicht mit Kritik und holt Fans des renommierten Senders ans Mikrophon.
"… Menschenrechte nicht nur ein Thema für die Türkei oder China, sondern auch für Deutschland und Berlin sind. Radio Multikulti hat es in den vergangenen Jahren geschafft, Menschenrechte auf der lokalen Ebene sichtbar zu machen. Die MacherInnen des vielfältigen Programms betreiben Aufklärung im besten Sinne: MigrantInnen lernen ihre Rechte kennen und werden informiert, wie sie diese einfordern können. Mit diesem Zuschnitt und der Nähe zum Publikum ist Radio Multikulti einfach unersetzlich! Berlin braucht diesen Multivitaminsaft!"
Die Mitarbeiter hatten es schon befürchtet, am Mittwoch verkündete es RBB-Intendantin Dagmar Reim dann offiziell: Radio Multikulti, der mehrsprachige Kanal für Berlin und Brandenburg, wird zum Jahresende eingestellt. Ab 1. Januar 2009 läuft auf der Frequenz 96,3 Funkhaus Europa. Das gehört zum WDR und kommt aus Köln.
Einst war Radio Multikulti das Vorbild für Funkhaus Europa, das mit dem Lifestyle-Magazin "Süpermercado" zwischen 10 und 12 Uhr täglich ein von Multikulti produziertes Programm sendet. Bald wird sich die Zuarbeit nur noch auf die arabische, russische und polnische Redaktion von Multikulti belaufen - diese drei Sprachen werden vom Funkhaus Europa nicht bedient. Der Rest von Multikulti wird Ende des Jahres weggespart.
Die 28 fest angestellten Redakteure sollen in anderen Formaten des RBB unterkommen. "Wir werden versuchen, auch alle freien Mitarbeiter dort zu beschäftigen", hieß es in einer Pressemitteilung der Rundfunkanstalt.
In der Multikulti-Redaktion ist man empört. "Radio Multikulti ist das Original, Funkhaus Europa wird uns nicht ersetzen können", sagte ein Mitarbeiter. "Am Dienstag wurde dort zum Beispiel den ganzen Tag über den Tod des ehemaligen Düsseldorfer Oberbürgermeisters Joachim Erwin berichtet, den in Berlin keiner kennt. Derweil hat man im Wrangelkiez eine Schule evakuiert, wovon man bei Funkhaus Europa nichts mitbekam."
Ein weiterer Mitarbeiter des Senders sagte, man könne die Entscheidung, die allein aufgrund der niedrigen Quote gefallen sei, nicht nachvollziehen. "Wir spielen eine wichtige Rolle für das multikulturelle Berlin. Im Gegensatz zu anderen Sendern des RBB unterscheiden wir uns noch deutlich von den Angeboten der privaten Radiostationen." Wortbeiträge und Weltmusik, die im Zentrum des Programms von Multikulti stehen, entsprächen eindeutig mehr dem öffentlich-rechtlichen Sendeauftrag als das Abspielen von Schlagern oder Charts. "Wir sind ein kleiner Sender mit wenigen Festangestellten, pragmatisch gesehen sind wir wohl am leichtesten abzuwickeln."
Mit Radio Multikulti verliert in Berlin auch der Karneval der Kulturen seinen wichtigsten Medienpartner. "Wir sind erschüttert von der Entscheidung. Einen gleichwertigen Partner zu finden, mit dem wir so genau unsere Zielgruppe erreichen können, wird sehr schwer werden", sagte Sprecherin Nadja Mau.
JULIANE WIEDEMEIER
Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte
"… die Migrantencommunitys, aber auch alle anderen BerlinerInnen auf Radio Multikulti als Informationslieferant über das multikulturelle Leben in Berlin angewiesen sind."
Izabela Ebertowska, Arbeitskreis Neue Erziehung, Exvorsitzende des Polnischen Sozialrats
"… Berlin eine transkulturelle Stadt und Radio Multikulti deren Stimme ist. Mit der Schließung dieser Welle trifft der öffentlich-rechtliche Sender, für den auch ich Gebühren zahle, eine politische Aussage, die die Unterminierung einer bestimmten soziopolitischen und kulturellen Identität bedeutet. Radio Multikulti gibt der Vielfältigkeit und den Menschen Berlins mit ihren Kulturen ein Gesicht. Es ist eine sehr wichtige Plattform."
Ipek Ipekcioglu, 36, DJane
"… es den Leuten eine Stimme gibt, die sonst keine haben."
Michael Kesting, Leiter des Kulturzentrums Naunynritze
"… die Multikulturalität einer Metropole wie Berlin nur durch solche Programme abgebildet und gestärkt wird. Weil auch die Nachfahren der Einwanderer ein Recht auf Informationen in ihrer Herkunftssprache haben. Und weil in anderen Programmen Migranten nicht ausreichend repräsentiert werden."
Ahmet Külahci, 57, Leiter der Berliner "Hürriyet"-Redaktion
"… es die gelebte Brücke zwischen den einheimischen und zugewanderten Bevölkerungsgruppen in Berlin und Brandenburg ist. Ohne Radio Multikulti fehlt in dieser Beziehung eine der wichtigsten Stimmen in unserer multikulturellen Hauptstadt und der gesamten Region!"
Donato Melillo, 34, Fanbetreuer von Hertha BSC
"… Radio Multikulti für warmherzige Vielfältigkeit und zusammenbringende Offenheit steht. Und davon gibt es leider nicht viel in Deutschland."
Muhabbet, 23, Musiker
"… wir es nicht zulassen dürfen, dass die politisch Verantwortlichen glauben, die Fans und Anhänger von Radio Multikulti seien die schwächste Lobby und Migranten könnten sich sowieso nicht wehren. Vor 15 Jahren war der Brandanschlag von Solingen, bei dem fünf Menschen starben. Eines der Ergebnisse war Radio Multikulti. Angesichts des wachsenden Rechtsradikalismus dieses Radio jetzt zu schließen, ist auch eine Ansage. Aber nicht die, die unsere Gesellschaft jetzt braucht."
Cem Özdemir, 42, Europaabgeordneter der Grünen und Berliner
"… wir nur in den fremdsprachigen Programmen von Radio Multikulti Migranten mit schlechten Deutschkenntnissen um Mithilfe bei der Aufklärung von Straftaten bitten und um Vertrauen in die Arbeit der Polizei werben können."
Mitarbeiter des Landeskriminalamts, der seinen Namen leider nicht öffentlich nennen kann
"… es Berlins Talentschmiede für interkulturelle JournalistInnen ist".
Michael Rediske, Geschäftsführer Verein Berliner Journalisten
"… wer Integrationspolitik will, sie auch durch solche Sendungen begleiten lassen muss."
Klaus Eisenreich, GdP-Sprecher
"… es mir Einblick in andere Musik und Kulturen gibt."
Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter der Grünen
"… es deutsche Kultur hier schon zur Genüge gibt."
Jörg Sundermeier, 38, Verbrecher Verlag
"… die Lobbyisten des unendlich Reinen sonst in Eintönigkeit verstummen würden."
Christoph Tannert, 44, Leiter des Künstlerhauses Bethanien
"… es ein Radio ist, das Menschen verschiedener Völker und Kulturkreise eine Stimme gibt, damit sie ihre Kulturen und Religionen pflegen können. Außerdem ist das Programm interessant und gut gemacht."
Abdul Basit Tariq, 61, Imam der Berliner Ahmadiyya-Gemeinde
"… ich selber Radio Multikulti höre und nicht darauf verzichten möchte! Ich finde die Welle super, denn kein anderes Radio spielt so unterschiedliche Musik und gewährt solche Blicke in die Welt. Außerdem ist Radio Multikulti ein Spiegelbild von Berlin. Die Schließung würde bedeuten, das zu ignorieren. Deshalb muss man für den Erhalt der Welle kämpfen."
Idil Üner, 36, Schauspielerin ("Auf der anderen Seite")
"… ich nur hier alles über das Leben in Berlin, die deutsche Schule und neue Gesetze erfahre."
Binh Biu Thanh, 49, vietnamesische Verkäuferin und Mutter
"… es ein Bindeglied ist zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsschichten in Berlin und die gesellschaftliche Vielfalt der Stadt einzigartig widerspiegelt."
Daniel Wall, Vorstandsvorsitzender der Wall AG
"… diese Radiowelle ein wunderbares Medium ist, um Migranten und Deutsche zu verbinden - ein Integrationsmedium. Es wäre sehr traurig, wenn so etwas kaputt gemacht wird."
Alexander Zinn, 40, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) Berlin-Brandenburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind