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Unterm Strich

Neue Seite, neues Thema? Haben Sie sich so gedacht. Immerhin sind wir hier in der Hauptstadt, hier passiert einfach mehr. Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (sowas haben nicht alle) hat zum Beispiel das Maison de France am Kurfürstendamm als 1.000stes Berliner Baudenkmal unter Schutz gestellt (soviele haben nur wenige). 1897 als großbürgerliches Mietshaus erbaut, wurde es erst in den 20er Jahren im Stil der Neuen Sachlichkeit, nach dem Krieg von dem Berliner Architekten Hans Semrau im Stil der 50er Jahre umgebaut. Derzeit behrbergt es – nomen est omen – das Institut Français, das Cinema Paris und eine Librairie Française. Neu ist das Verfahren, mit dem ab sofort Denkmalschutz betrieben werden soll. Bisher mußten vor einer Unterschutzstellung die Eigentümer ausfindig gemacht und angehört werden. In Zukunft sollen die für schützenswert befundenen Objekte auf eine Liste gesetzt und der Eigentümer erst dann gehört werden, wenn er bauliche Veränderungen vornehmen will. Denkmale gelten immerhin als Dokumente der städtebaulichen Entwicklung, selbst dann also noch, wenn auf die Architektur von gestern zurückgegriffen wird. Denn, so Hassemer, auf „Schönheit“ kommt es nicht so sehr an. Daß auf alten Listen von vor der Wende auch im Ostteil Berlins 1.000 Baudenkmäler verzeichnet sind, läßt den rechnerischen Schluß zu, daß Berlin in Wirklichkeit 2.000 Baudenkmäler besitzt. Wahnsinn!

Wie gewonnen, so zerronnen, der eine schafft was, der andere schafft was weg. Mitarbeiter des Grünflächenamtes Berlin-Friedrichshain zum Beispiel hielten eine Skulptur des Australiers Anthony Beilby nicht für Kunst, schon gar nicht für ein Denkmal, sondern schlicht und einfach für Schrott. Weil es beim Rasenmähen im Wege war, entfernten sie das Kunstwerk aus Metallstangen und Pflastersteinen. „Ein Teil der Steine war schon ganz zugewachsen“, erläuterte die Kulturamtsleiterin, Frau Richter. „Böse Absicht war es ganz bestimmt nicht. Aber sowas darf natürlich nicht wieder passieren.“ Stimmt genau. Wir empfehlen Listen. Oder die Rückbesinnung auf Kunst von gestern. Ist leichter zu begreifen und viel berlinerischer.

Der Direktor des Berliner Instituts für Museumskunde, Andreas Grote, fragt besorgt, ob die Wende an Ostdeutschlands Museen spurlos vorübergangen ist. In der Leipziger Ausstellung zur Geschichte der Völkerschlacht bläst ein Wachregiment der NVA den Großen Zapfenstreich zum 150. Jahrestag der Völkerschlacht – im Zeichen der Bereitschaft, „den Frieden an der westlichen Grenze des sozialistischen Lagers zu schützen.“ In vielen Museen dominiere immernoch die DDR-Sicht der Dinge. Die ideologische Durchschlagskraft bleibt aber berechenbar. Grote: „Der Besucher geht nicht ins Museum, um zu lernen, sondern um seine Zeit auf möglichst intelligente Art und Weise totzuschlagen.“ Vor allem in Berlin.

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