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Unterm Strich

Unser Leser Wolfgang Teichmann hat die Lage ganz richtig erfaßt: Die Kulturredaktion ist dabei, sich entschieden zu politisieren. Es sei verraten, daß bereits schon Überlegungen angestellt wurden, anläßlich des Superwahljahres die Arbeitsräume der Kulturredaktion, bislang noch Oswalt-Kolle-Oase genannt, nach dem Namen des Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten, Rudolf „Ziege“ Scharping umzubenennen. Es ist nur noch nicht ganz klar, in welcher Zusammensetzung der Name dieses „deutschen Clinton“ (E. Eppler) den Eingang unserer Hallen zieren wird: „Rudolf-Scharping-Scheune“ ist bislang der einzige Vorschlag, wurde aber flugs als zu ländlich abgetan. Etwas flotter, urbaner, kosmopolitischer darf's schon sein. Wir bitten unsere verehrte Leserschaft um Anregungen. Anregungen, wie sie uns in diesen besinnlichen Tagen zu Jahresbeginn etwa durch folgendes Gedicht des oben erwähnten Lesers zuteil werden:

Wahlweise

Matt blökt der Ochs von Oggersheim.

Dem geht kein Mensch mehr auf den Leim.

Zeigt ihm, was eine Harke!

Noch thront er auf dem Pleitegaul

und meint, das Arbeitsvolk hock' faul

in einem Freizeitparke.

Ihm stellt sich Rudolf von der Pfalz,

ganz ohne Kohlschen Speck am Hals

und kommt auf Schusters Rappen

und führt ein Arbeitslosenheer,

das trägt an seiner Freizeit schwer,

weil sie den Sold ihm kappen.

Der Wahltag naht – wach auf, du Christ!

Weg ist der Speck – es naht High-noon.

Und wer da ohne Arbeit ist,

der lerne nachzudenken nun...

Nach solchen lyrischen Aufschwüngen fällt es freilich schwer, zur Prosa der Verhältnisse zurückzukehren, aber sei's drum, es muß sein: Der Ochs von Oggersheim hat Willy Millowitsch zum 85. Geburtstag am vergangenen Samstag gratuliert. Er bezeichnete den Jubilar als „Inbegriff des kölschen Humors“. Auch Rudolf von der Pfalz übersandte Glückwünsche. Willy Millowitsch verkörpere nicht nur den rheinischen Frohsinn, sondern auch eine Schauspielerdynastie mit fast 200jähriger Tradition. O Gott, nein, genug davon...

Ein Werk von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792), Goethes zeitweiligem Freund und Büchners Held der gleichnamigen Erzählung, ist unverhofft aufgetaucht: Es hört auf den schönen Namen „Philosophische Vorlesungen für empfindsame Seelen“ und wurde von dem Literaturwissenschaftler Christoph Weiß in der British Library entdeckt.

Rostock verfügt bald über eine Kunsthochschule, an der eben solche Seelen ausgebildet und verfeinert werden. Die bundesweit 26. Lehrstätte dieser Art beginnt an diesem Mittwoch mit dem Betrieb. Dabei sah es noch vor wenigen Monaten wahrhaftig nicht so aus: Die Regierung in Schwerin tat sich schwer mit der Entscheidung. Gar zu gern hätte die Landeshauptstadt die Kunsthochschule für sich selbst in Anspruch genommen, zumal Rostock ja bereits eine Universität hat. Doch der Wissenschaftsrat in Köln war anderer Meinung. Entweder in Rostock oder gar nicht, so wurde dekretiert. In Rostock, der größten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns, gibt es bereits zwei Hochschulbereiche für Schauspiel und Musik, dazu die universitäre Ausbildung von Gymnasiallehrern im Fach Kunst. Das schwierigste Problem scheint bislang die Lehrstuhlbesetzung. Der Hochschule, die mit rund 280 Studenten startet und später etwa 400 Studenten ausbilden soll, wurden 39 Stellen zugebilligt. Alle 16 Professorenstellen wurden ausgeschrieben, Entscheidungen sind aber noch nicht gefallen.

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