: Unterm Strich
Paderborn, das gute alte schwarze Paderborn, muß mittlerweile auch fest in der Hand sogenannter Alt- Achtundsechziger sein – denkt es abgründig in einem drin bei der Lektüre der Pressemeldung zur demnächst (am 3. Februar) eröffnenden Ausstellung „Ab 18 – zensiert, diskutiert, unterschlagen“ in den Museen im Marstall in der Marstallstraße. Knallharte Aufklärung aus Paderborn, radikaldemokratischer Einsatz fürs Unterdrückte, nicht Salonfähige, womöglich sogar unter Zeigung nackter Tatsachen – ja, ist das denn die Möglichkeit? Es ist: „Die meisten Ausstellungsstücke werden in einer Vorher-Nachher-Situation gezeigt. Ob frech, witzig, skurril, obszön oder gewalttätig – unabhängig von der Etikettenwahl werfen die Exponate die Frage nach den Werten und dem Wertewandel in unserer Gesellschaft auf.“ „Wertewandel“, „aufwerfen“, das ist immer gut, aber dann kommt's – der Mann von der Öffentlichkeitsarbeit in Paderborn muß echt ein sehr langer Marschierer sein – noch knallhärter achtundsechzigermäßig: „Eigentlicher Zweck von Zensur ist die Aufrechthaltung von herrschenden Zuständen, Verhinderung von Chaos und Unordnung durch Moral und Anstand, deren Definitionen allerdings zeitbedingt und somit schwammig sind.“ Wow! Nieder mit der Repression, nieder mit der Schwammigkeit, auf nach Paderborn! In den Marstall im Stadtteil Schloß-Neuhaus. Der Eintritt ist frei.
Mensch, sind die Widmann! Nachdem Hans Halter, Altreporter beim Sturmgeschütz der Demokratie, im Spiegel-Special „Journalismus hier und heute“ überraschenderweise den „Adorno-Schüler Widmann“ entdeckt hatte, kommentiert der Tagesspiegel vom vergangenen Wochenende Widmanns fliegenden Wechsel vom Chefredakteursposten der taz zum Feuilleton der Zeit als rififimäßige Aktion eines „68ers, der den Verrat zum Maskenspiel eines Dandyismus umfunktioniert hat, der allein durch die Exzentrik permanenten Seitenwechsels beeindruckt“. Zu viele Relativsätze, Typ vom Tagesspiegel, und auch sonst zuviel des Gedöns, in Wirklichkeit ... nein, wie er wirklich ist, der Arno, wird hier nicht verraten. Die Tanzpferdchen von der Zeit sollen selber merken, wen sie sich da in den Stall gesetzt haben.
Wer unbedingt will oder die Reichstagsverhüllung durch Christo nicht abwarten kann, kann sich jetzt schon mal im hohenlohischen Künzelsau warmlaufen. Dort haben Christo und seine Frau Jeanne-Claude nämlich in den privaten Räumen des Schraubenfabrikanten und Kunstmäzens Reinhold Würth die begehbare Installation „Verhüllte Böden und Treppen, verhängte Fenster“ eröffnet, in die jeder, der will, bis zum 4. Juni einfach so rein darf. „Die Flut der sich in ständiger Bewegung befindlichen Bahnen dämpft Geräusche und soll nach Christos Vorstellungen den Besuchern und Mitarbeitern das Bewußtsein vermitteln,
auf einer üppigen Oberfläche zu wandeln. Die gleichzeitig mit braunem Packpapier verhängten Innenseiten von nicht weniger als 879 Fensterscheiben sollen den Blick auf die Außenwelt verstellen (so dpa, die dabei war). Na denn.
Die seit dem letzten Jahr im schwedischen Exil lebende Schriftstellerin Taslima Nasreen hat die Absicht bekräftigt, trotz des drohenden Prozesses in ihr Heimatland Bangladesch zurückzukehren. „Ich will nach Hause“, sagte sie in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus. „Meine Heimat ist alles, was ich habe. Bangladesch ist zwar eines der ärmsten Länder der Welt, aber für mich das schönste“, fügte die Autorin hinzu, die für ihren Roman „Scham“ von fundamentalistischen Muslimen mit der „Fatwa“, dem Todesurteil bedroht wird. Taslima Nasreen bezeichnete den Fundamentalismus als „religiösen Faschismus“, mit dem sie nie Kompromisse schließen werde. „Die Fatwa, das Todesurteil gegen mich, ist nach unseren Gesetzen bei Todesstrafe verboten“, erklärte die Schriftstellerin und fügte hinzu, die Premierministerin Khaleda Zia habe aber nur „die Wahl zwischen Pest und Cholera. Würde ich nicht bestraft, dann würden die Fundamentalisten das Land lahmlegen. Werde ich bestraft, dann stoppt die westliche Welt die Entwicklungshilfe.“ Von Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Klaus Kinkel erhofft sich die Schriftstellerin Unterstützung: „Beide sind Männer, die den Fundamentalisten, die meistens nur den Frauen gegenüber stark sind, die Stirn bieten können“, sagte sie. Vermutlich spielt sie damit auf die Leibesfülle des Kanzlers an, um derentwillen sie Kohl als antifundamentalistisches Bollwerk schätzt.
Das Imperium Castorf schlägt zurück: Nach der Schelte ums „Stahlgewitter“ soll der Sternenkreuzer am Rosa-Luxemburg-Platz Verstärkung durch eine zusätzliche Spielstätte erhalten. Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz will im Mai eine Probebühne im Prater am Prenzlauer Berg eröffnen. Dabei wird der durch seine Jugend in Karl-Marx-Stadt gepanzerte Frank „Darth Vader“ Castorf selbst jedoch nicht das Ruder führen. Der bisherige Regieassistent des Volksbühne-Intendanten, Lukas Langhoff, soll die zusätzliche Bühne leiten, bestätigte Volksbühnen- Chefdramaturg Matthias Lilienthal am Freitag. Zur Eröffnung probt der Schweizer Rudi Häusermann die Inszenierung „Praterrundgang“. Der über 100 Jahre alte Prater wird derzeit renoviert. Genehmigt sind 99 Sitzplätze. Lukas Langhoff ist der Sohn von Thomas Langhoff, Intendant des Deutschen Theaters Berlin, das bereits dessen Vater Wolfgang Langhoff leitete. Lukas, Luke ... – wer die Star-Wars-Trilogie kennt, der weiß, was da noch alles aufs Berliner Publikum zukommt – es ist der junge Skywalker, der im letzten Akt seinen dunklen Vater tötet.
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