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Unterm Strich

Wer die Bücher von Ian McEwan noch nicht gelesen hat, sollte das unbedingt nachholen, denn sie sind mindestens so zuverlässige Sesseldrücker wie etwa „Halloween“ (siehe oben). Jetzt hat der 50 Jahre alte britische Autor Ian McEwan für seinen jüngsten Roman „Amsterdam“ den mit 21.000 Pfund dotierten Booker-Preis erhalten, die bedeutendste Literaturauszeichnung Großbritanniens. Der Jury-Vorsitzende und frühere Außenminister Douglas Hurd nannte das Buch eine „süffisante, aber weise Prüfung der Moral und Kultur unserer Tage“. In dem Roman, der noch nicht in Deutschland erschienen ist, setzt McEwan mit dem Tod der gemeinsamen Geliebten eines erfolgreichen Komponisten und eines Zeitungsherausgebers eine komplexe Ereigniskette in Gang. Die beiden werden in eine Kontroverse verwickelt, als dem Journalisten kompromittierende Fotos eines Außenministers in die Hände fallen: Die Tote war auch noch dessen Mätresse. In seinen früheren Büchern ging es zumeist um Inzest unter Teenagern, Vergewaltigung, Serienmord, Zerstückelung, Kindesmord oder – wie in „Der Zementgarten“ – um Entsorgungsprobleme elterlicher Leichen. Das trug dem in Oxford und im französischen Montpellier lebenden Autor den Beinamen Ian Makaber ein.

Wenn er jünger wäre (maximal 35), deutsch schriebe und außerdem Theaterstücke, dann wäre McEwan ein Kandidat für die Autorentage 99 in Hannover. Denn dort ist das Böse gesucht. Ralph Hammerthaler von der „Süddeutschen Zeitung“ hat die Jurorenschaft für die 5. Autorentage übernommen und hat nun die Aufgabe, drei bis vier Theaterstücke zu entdecken, die der Öffentlichkeit unbedingt vorgestellt werden müssen. Sein Interesse gilt, das behauptet zumindest der Pressetext, eher dem Rohen als dem gut Gemachten, eher dem Obsessiven als dem Diskursiven, eher dem durchtrieben Bösen als dem harmlos Guten, eher der alten subversiven Arroganz als der neuen angepaßten Naivität. Wer dem Genüge tun kann und in den letzten 20 Monaten ein Stück geschrieben hat, sollte es bis zum 31. Dezember an Ralph Hammerthaler, Süddeutsche Zeitung, Sendlinger Str. 8, 80331 München schicken. Aber daran denken: Nicht älter als 35 sein!

Christoph Schlingensief käme also nicht mehr in Frage. Er hat sich nach der verlorenen Bundestagswahl ins Schweizer Exil begeben und dort einen neuen Staat gegründet, den Chancestaat. Morgen wird er mit einem Staatsbankett am Badischen Bahnhof in Basel begrüßt und wird dort einen ersten Grenztest durchführen. Alle Schweizer, Franzosen und Deutsche sind aufgefordert, „als Diplomaten des neuen Chancestaates frei die Grenzen zu passieren – ein erster Testversuch für das neue Millennium“. Anschließend will Schlingensief auf Mission nach Simbabwe, Namibia und Südafrika aufbrechen.

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