: Unsichtbare Hisbollah
Während Israel von eigenen Verlusten berichtet, gibt es von der Hisbollah nur Siegesmeldungen. Keine toten Hisbollah-Kämpfer – nur tote Zivilisten: So bringt sie Israel politisch in die Defensive
VON FRANK LÜBBERDING
In der Kriegsberichterstattung sieht man die immer gleichen Bilder: marschierende Soldaten, feuernde Artillerie, fahrende Panzer, Kampfflugzeuge am Himmel. Das könnte auch aus einer beliebigen Wochenschau aus dem letzten Weltkrieg stammen. Allerdings gilt das nur für die Israelis. Von der Hisbollah im Krieg gibt es fast nichts zu sehen. In den letzten Tagen zeigte lediglich CNN startende Katjuschas, ohne einen Hinweis auf die Quelle. Man kann durchaus die Vermutung haben, dass es sich dabei um Bilder israelischer Kommandos gehandelt hat. Die Hisbollah selbst vermeidet jede Darstellung kriegerischer Aktionen.
Die Bilder gleichen sich nur bei den Opfern – im Libanon und in Israel: weinende Frauen und Kinder, verzweifelte Männer, zerstörte Häuser. Diese Bilder haben eine enorme Wirkung – und Israel politisch in die Defensive gedrängt. Über den Verlauf des Krieges erfährt man allerdings nichts. Nur Spekulationen und Ortsangaben. Das bedeutet aber zugleich, nichts über die diplomatischen Möglichkeiten eines Waffenstillstands zu erfahren. Der hängt nämlich genau von den Kampfhandlungen ab, über deren Verlauf man nichts weiß. So haben die Medien eigentlich nichts zu berichten – außer über die Verlautbarungen der Kriegsparteien und den Schrecken des Krieges. Sie belassen es daher beim hilflosen Appell, Frieden sei besser als Krieg, und bei der Beobachtung der internationalen Diplomatie.
Der Waffenstillstand vor der militärischen Klärung bedeutet wenig. Das Gerede, es könne anders sein, ist diplomatischer Smalltalk. Denn, so realistisch ist man von Washington bis Teheran, ein militärisches Patt wäre gleichbedeutend mit einem politischen Sieg der Hisbollah. Sobald Syrien oder der Iran einen Waffenstillstand verlangen, ist das auch nur ein erster Hinweis auf den Verlauf des Krieges: Die Hisbollah verliert – und ihre Verbündeten wollen diplomatisch helfen. Aus ihrer Interessenlage verständlich. Die Forderung der Europäer nach Einstellung der Kampfhandlungen ist dagegen lediglich verlogen. Sie wollen es sich mit den arabischen Staaten nicht verscherzen. Das können sie sich leisten. Sie vertrauen auf ihre erwiesene Nutzlosigkeit: Keiner wird auf sie hören.
So erfährt man nichts über den Krieg – nur über seine Folgen. Während Israel aber regelmäßig über die eigenen Verluste berichtet, es kann sie auch nicht vor der eigenen Bevölkerung verschweigen, ist von der Hisbollah außer Siegesmeldungen nichts zu hören. Keine toten Hisbollah-Kämpfer – nur tote Zivilisten. Keine Verluste an Ausrüstung – nur zerstörte libanesische Infrastruktur. Deshalb ist es auch unsinnig, etwa ARD oder ZDF „Einseitigkeit zulasten Israels“ vorzuwerfen: Weil die Hisbollah auf dem Kriegsschauplatz für die Medien gar nicht stattfindet, wird auch nicht über sie berichtet. Außer den Opfern des israelischen Militärs bekommen die Medien nichts zu sehen. Entsprechend werden nur gegenüber dem sichtbaren Kriegsteilnehmer Erwartungen formuliert – Israel soll auf die Zivilbevölkerung Rücksicht nehmen. Diese Forderung erfolgt gegenüber der Hisbollah nur formal. Niemand erwartet von der Guerilla, dass sie sich an die Regeln des Kriegsrechts hält. Sie sieht sich selbst ja noch nicht einmal als Kriegsteilnehmer, sondern leistet „Widerstand“ – ein Begriff, mit dem sich die Hisbollah erfolgreich zum Opfer gemacht hat. Opfer können so viele Raketen abschießen, wie sie wollen. Sie gelten als legitimiert.
Die Hisbollah als Terroristen zu deklarieren, reduziert sie aber zu bloßen Kriminellen, die sie nicht sind. In Wirklichkeit führen sie mit den Mitteln der Guerilla Krieg. Dafür heben sie bewusst die kriegsrechtliche Unterscheidung zwischen Zivilisten und Militär auf. Es ist auch die einzige Strategie, die aus ihrer Sicht Erfolg verspricht. Daher ist es zwar verständlich, aber zugleich absurd, wenn jetzt ausgerechnet von Israel die Schonung der Zivilbevölkerung verlangt wird. Die Strategie der Hisbollah – und sie bestimmt das Wesen dieses Krieges – besteht gerade in der Aufhebung dieser Trennung. Israel würde einen anderen Krieg sofort befürworten – und das keineswegs aus moralischen Gründen – und würde ihn in kurzer Zeit gewinnen. Zugleich definiert die Hisbollah ganz offen ihr politisches Ziel: die Vernichtung des Feindes. Wenn nicht jetzt, dann später. Damit macht sie diesen Krieg zum „totalen Krieg“. Der kennt keine Kompromisse, nur Sieg oder Niederlage. Zugleich macht er jeden, ob Zivilist oder Militär, Alt oder Jung, Frau oder Mann, zum Kriegsteilnehmer. Natürlich, ohne die libanesische Bevölkerung nach ihrer Meinung zu fragen.
Die Methode der Guerilla ist nur die taktische Hülse für diese Strategie – und die Journalisten verkennen zumeist ihren erbarmungslosen Charakter. Es fehlt eben nicht an der Medienpräsenz israelischer Opfer, wie es bisweilen vermutet wird. Das änderte gar nichts. Selbst dann bekäme Israel die Verantwortung zugeschoben. Der Philosoph Jostein Gaarder hat ja schon gefordert, den Juden Zuflucht zu gewähren – sobald sie selbst verschuldet aus Israel vertrieben worden sind.
Solange man diesen Krieg wie einen zwischenstaatlichen Krieg vergangener Jahrhunderte betrachtet, wird sich daran auch nichts ändern. Die Kriegsberichterstattung macht Israel zum einzigen Kriegsteilnehmer – und damit zwangsläufig zum Aggressor. Der Versuch der Schadensbegrenzung wird Israel auch nicht helfen. Am Ende siegt doch das militärische Kalkül, so der nicht unbegründete Verdacht. Die Hisbollah wird dagegen nur in den libanesischen Opfern sichtbar. Unsichtbar ist ihre Strategie, die aus Kindern Kriegsteilnehmer gemacht hat. Sie führt ihren totalen Krieg unter Ausschluss der Öffentlichkeit – und vor den Augen der Welt. Solange sie daran festhält, wird es keinen Waffenstillstand geben – und bleiben die Forderungen nach einer Begrenzung des Krieges so berechtigt wie sinnlos. Man wird sehen, ob die Hisbollah die heutige Feuerpause zum Strategiewechsel nutzt. Ansonsten ist sie das bloße Vorspiel für den nächsten Krieg.