: Unsere Pläne sind glücklos
■ Eine Erzählung von Bianca Döring
Vom Brötchen wird der Fisch in die Jackentasche gesteckt. Dort bleibt er das ganze Buch über, nascht an Fingern und Zetteln. Oder es wird ihm der Kopf abgerissen, die Kiemen zerstört. Auch das passiert. An welchem der sieben Wochentage, das weiß man allerdings nicht. Am geglücktesten scheint der Dienstag zu sein: „Wenn Dienstag ist, erschieße ich einen. Dienstags werden die Liebsten erschossen.“
Nachzuerzählen ist Bianca Dörings zweites, immerhin als „Erzählung“ annonciertes, Buch nicht. Wie auch in ihrem vor zwei Jahren erschienenen Debüt „Ein Flamingo, eine Wüste“ werden kurze Sätze aneinandergereiht, die manchmal nur eine lyrische Sentenz umfassen. Diese Reihung ergibt nicht, was als Handlung, Stringenz oder Entwicklung zu benennen wäre – eher entsteht ein Mosaik, eine plane, kachelartige Struktur, die kaum verfugt, Bewegungen und Brüchen ausgeliefert ist. Daß eine solche Struktur dem, was durch sie dargestellt ist, nicht nur anhängt, ist Allgemeinplatz moderner Literatur. Bei Bianca Döring heißt es: „Unsere Pläne sind glücklos, draußen segelt wie ein Flicken die Welt.“
Und mitten darin bewegt sich Barbara, eine junge Frau, und wird bewegt. Über sie und von ihr – die Autorin wechselt vehement Sprechweisen und Perspektiven – erfahren wir, daß sie Sängerin ist („Ich singe und habe hinterher einen Hunderter. Deshalb bin ich erlaubt.“) und daß sie Alexander, einen Dirigenten liebt und vor ihm flüchtet.
Barbara bleibt, was immer sie tut, empfindet und denkt, eine Person in Anführungszeichen. Ihre Versuche, mit Umwelt und Mitmenschen zurechtzukommen, führen regelmäßig zu phantasierten Morden und Einverleibungen. Es häufen sich mit der Länge des Textes die Schußwunden. Ritualisiert wie Opferdarbietungen erscheinen Barbaras Beziehungen; zu einem Heil, zu einer wie auch immer gearteten Versöhnung will doch alles nicht reichen. Es wippt lediglich als einzig möglicher Trost der Indikativ mit dem Konjunktiv: „Eine alte Frau könnte ich sein, die alle hundert Enkel auf dem Eis verloren hat, als diese fröhlich Schlittschuh liefen, einbrachen und ertranken. So etwas ist unausdenklich. Wie soll man das fassen? Und dennoch: das bin ich!“
„Schnee und Niemand“ ist trotz Lyrizismen und metaphernreicher Poesie kein kapriziöses Buch. Wie niemand sonst versucht sie allerdings, ihre Prosa poetisch zu gestalten. Nicht als Selbstzweck – um diesem Eindruck hier gleich entgegenzutreten –, sondern als Resultat ihrer Reflexion über die Darstellbarkeit von Realität. Und Realität bleibt, worum es hier geht. Wunderbar ist, daß Bianca Döring dabei so vollkommen sich selbst genügende, in ihrem Klang vollendete Sätze schreiben kann wie diesen: „Still zerspringt der Regen auf Barbaras rotem Haar.“
Bianca Döring: „Schnee und Niemand“. Erzählung. Suhrkamp Verlag, edition suhrkamp, 96 Seiten, 12DM.
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