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Unser Israel (12)Besondere Beziehungen

Kommentar von Aref Hajjaj

Deutschland ist zwar der größte Geldgeber der Palästinenser, politisch hält es aber meistens zu Israel. Zum Frieden wird das nicht führen.

M an müsste politisch blauäugig sein, wollte man das Besondere an den deutsch-israelischen Beziehungen verkennen. Die Frage aber ist: Dürfen diese Beziehungen zulasten der Palästinenser gehen? Und muss Deutschland aufgrund seiner historischen Verantwortung für die Juden in aller Welt, von denen sich viele mit Israel identifizieren, andere Werte und Interessen hintanstellen?

Politiker in Deutschland neigen zur Parteinahme für Israel. Wenn sie etwa die Spirale der Gewalt im Nahen Osten kommentieren, dann verurteilen sie häufig den "Terror" der Palästinenser, während sie Israels Angriffe als reine "Vergeltungsschläge" verharmlosen. Auch stimmt man in Deutschland weitgehend damit überein, das Israel sich selbst als "jüdischer Staat" definiert. Diese Sprachregelung ignoriert aber nicht nur die 1,5 Millionen "israelischen Araber", die immerhin mehr als ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen. Sie ist auch insofern rassistisch, als sie alle Bürger nichtjüdischen Glaubens auf eine Quantité négligeable reduziert.

Israels aktuelle Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu pocht auch deshalb so stark auf die Definition als "jüdischer Staat", weil sie jene Palästinenser, die eine israelische Staatsbürgerschaft besitzen, weiter marginalisieren möchte. Dabei besitzt diese Minderheit schon jetzt weniger Rechte als die jüdische Mehrheit. Dass ihre Angehörigen keinen Militärdienst leisten dürfen, ist zwar nicht a priori diskriminierend, allerdings spielt es in der stark militarisierten Gesellschaft Israels eine große Rolle, ob man in der Armee war oder nicht. Mit der Betonung des "Jüdischen" sendet Israel zudem zwei weitere Botschaften: ein kategorisches Nein zu einem Rückkehrrecht für Palästinenser und zur Idee eines binationalen Staats.

Bild: Lit Verlag

Aref Hajjaj, geboren 1943 in Jaffa, damals Palästina. Er hat für das Auswärtige Amt gearbeitet und ist Vorsitzender des "Palästina-Forums". Sein Buch "Angekommen in Deutschland" ist eben erschienen (Lit Verlag).

Parteinahme als Staatsräson

Die deutsche Haltung gegenüber Israel ist freilich nicht statisch. Die deutsche Nahostpolitik in der Ära Schmidt und Genscher (1978 bis 1982) und noch deutlicher unter Schröder und Fischer (1999 bis 2004) etwa war getragen von dem Wunsch, das Verhältnis zu den Palästinensern aufzuwerten, ohne die Bevorzugung Israels anzutasten. Angela Merkel dagegen ging mit ihrer uneingeschränkten Unterstützung Israels sogar noch weiter als Adenauer oder Kohl, als sie diese 2008 in ihrer Rede vor der Knesset zur deutschen Staatsräson erklärte. Diese Haltung legte sie auch während des Gazakrieges an den Tag, als sie allein der Hamas die Schuld an der Eskalation gab.

Dass der Bundestag im Juli 2010 in seltener Einmütigkeit die sofortige Aufhebung der Gazablockade forderte, markiert insofern einen bedeutenden Einschnitt: Der Antrag von Union, FDP, SPD und Grünen wurde von der Linken unterstützt. Auch Merkel hat sich etwas bewegt, als sie auf die Gefährdung des Friedens durch den israelischen Siedlungsbau hinwies. Außerdem hegt sie noch Bedenken gegenüber dem israelischen Wunsch, ein sechstes deutsches Dolphin-U-Boot geliefert und mitfinanziert zu bekommen - dabei spielen aber offenbar weniger politische als vielmehr fiskalische Gesichtspunkte eine Rolle.

Bedeutung des Holocaust

Zweifellos gibt es auch unter den Palästinensern manche, die den Holocaust relativieren. Andere Palästinenser sind klüger und spielen weder dessen dramatische Tragweite noch seine Bedeutung für das deutsch-israelische Verhältnis herunter. Nachvollziehbar ist aber die Empörung vieler Palästinenser darüber, dass sie aufgrund von Ereignissen, für die sie nicht verantwortlich sind, benachteiligt werden. Zwar gibt es keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem deutschen Völkermord an den Juden und dem Nahostkonflikt, wohl aber ging die Gründung des Staates Israel auf Kosten der Palästinenser.

Viele Palästinenser sprechen deshalb von "besonderen Beziehungen" auch zwischen Deutschen und Palästinensern. Sie wissen, dass Deutschland schon jetzt nicht nur innerhalb der EU, sondern auch weltweit der größte Geldgeber für die palästinensischen Gebiete ist und sie wirtschaftlich weit stärker unterstützt als so mancher arabische Ölstaat. Allein im letzten Jahrzehnt kam Deutschland für ein gutes Viertel jener insgesamt 1,5 Milliarden Euro auf, die die Palästinenser von der EU erhielten. Die besetzten Gebiete sind ein Schwerpunkt deutscher Entwicklungshilfe - und die Bundesrepublik verpflichtete sich zuletzt auf der Geberkonferenz in Ägypten dazu, sie weiter finanziell zu unterstützen.

Damit dieses Geld aber nicht lediglich dazu dient, die Folgen der israelischen Besatzung abzumildern, wünschen sich viele Palästinenser, Deutschland möge sich auch politisch stärker für eine Zweistaatenlösung engagieren. Dazu reichen schwammige Forderungen nach einem "Siedlungsstopp" oder "Moratorium" nicht aus. Angebrachter wäre es, von einer "Räumung" der Siedlungen im Westjordanland zu sprechen. Dass diese Forderung zuletzt in der Ära des als äußerst bedächtig geltenden FDP-Außenministers Hans-Dietrich Genscher laut wurde, sollte zu denken geben. Nach ihm scheint sich die deutsche Politik mit Israels Siedlungsbau abgefunden zu haben.

Genschers Ausgewogenheit

Auch das deutsche Abstimmungsverhalten in der EU und anderen internationalen Gremien könnte etwas weniger einseitig ausfallen. Denn ob beim Libanonkrieg oder beim "Goldstone-Report" der Vereinten Nationen zum Gazakrieg - stets ging es darum, eine Verurteilung Israels um jeden Preis zu verhindern. In anderen Fällen, etwa den Iran, Nordkorea oder Sudan betreffend, ist die deutsche Außenpolitik da deutlich eifriger.

Auch Deutschlands Weigerung, mit der Hamas im Gazastreifen ins Gespräch zu kommen, ist wenig hilfreich. Niemand erwartet ernsthaft, Deutschland solle zwischen Fatah und Hamas vermitteln. Aber es würde dem darbenden Friedensprozess dienen, wenn sich das Verhältnis zwischen den beiden Kontrahenten entkrampfte. Es würde auch die Abhängigkeit der Hamas vom Iran mindern, was ja im deutschen und westlichen Interesse liegen müsste. Solche Schritte könnten dazu beitragen, die deutsche Nahostpolitik etwas "ausgewogener" zu gestalten - auch so ein Begriff, der in der Ära Hans-Dietrich Genschers zuletzt die Runde machte.

***

Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": Wir Israelkritiker von Lars Rensmann, Krieg der Worte von Isolde Charim, Wir Israelversteher von Daniel Bax, In Reichweite der Raketen von Chaim Noll, Kritik ist nicht gleich Kritik von Armin Pfahl-Traughber, Gottes verheißenes Land von Georg Baltissen, Das Gespenst des Zionismus von Klaus Hillenbrand, Eine komplizierte Geschichte von Micha Brumlik, Keine innere Angelegenheit von Tsafrir Chohen, Deutsche nach Gaza? von Muriel Asseburg und Feiger Hass von Stephan Kramer.

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11 Kommentare

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  • D
    Dennis

    Frieden halte ich in der Region für unmöglich. Deutschland ist gefesselt an seine Vergangenheit und wird immer unangebrachterweise Partei für Israel ergreifen. Die wollen aber keinen Frieden sondern ihr Land weiter ausweiten. Stattdessen stellen wir die Palästinenser als die Bösen dar obwohl sie nur einen verzweifelten Verteidigungskrieg führen. Ich meine wenn jetzt auf einmal Leute das römische Reich neugründnen wollen würde Deutschland da seine Gebiete links des Rheins an die abtreten weil die da vor 2000 Jahren waren? Nein es würde Krieg geben weil soetwas eine Aggresion ohne gleichen ist. Ist ein weit hergeholtes Beispiel aber genau in dieser Lage sind die Palästinenser. Dieser Konflikt wird sich bis in die Endzeit der Menschlichen Geschichte ziehen oder aber in einer eskalation der Gewalt noch die ganze Region, wenn nicht die Welt erschüttern.

  • TF
    the fall

    vielen dank an aref hajjaj für seinen zustimmungswürdigen, man möchte fast sagen "schönen" kommentar! (nur "fast" wegen der 'unschönen' thematik)

    schon zuletzt l.rensmann mit seiner eher israel-solidarischen sicht und noch mehr dieser beitrag aus feder eines palästinensers zeigen, dass auch starke verbundenheit oder identifizierung mit einer von 'beiden seiten' NICHT in einseitigkeit und feinddenken münden müssen. überhaupt scheint diese taz-serie von mal zu mal weniger einseitig und stattdessen friedens-orientierter zu werden. zufall oder ein 'taz-nahost-plan'?!

  • DP
    Daniel Preissler

    Hallo zusammen,

    hier nur mal als Denkansatz den Beitrag meines Namensvetters mal rumgedreht (wobei nicht meine Meinung herauskommet):

     

    "...ich kann mir keinen Frieden vorstellen, solange jüdische (und evtl. christliche) Israelis so nah an Palästina leben - gebt ihnen Land abseits, (dann) werden (sie) gute Nachbarn und irgendwann werden die Grenzen anerkannt - aber nicht, solange Israelis in Spuckweite Palästinas sind."

     

    Fühlt sich komisch an, oder? Dann sollte sich der Originaltext wohl auch komisch anfühlen.

     

    Freundliche Grüße und für eine laizistische Republik Nahost

    DP

  • A
    alex

    von einem intellektuellen, besonders wenn er deutschland vorwirft tendenziös zu sein, erwartet man doch mehr als tendenziöse beiträge.

     

    neben faktischen fehlern (arabsiche, moslemische, christliche israelis und auch die bahai dürfen sehr wohl in der idf dienen. aber für sie besteht keinen wehrpflicht), stellt mir dieser wissenschaftler seine meinung zu sehr in den mittelpunkt.

    wo bleiben seine forderungen an die muslimischen brüder der palästinenser, wo deren finanzielle unterstützung? zudem weigert sich die deutsche regierung seit jahrzehnten mit terroristen zu sprechen - warum sollte sie bei der hamas von diesem diktum abgehen? woher kommt auch diese merkwürdige forderung nach einer 2-staaten-lösung, wo der autor doch wissen müsste das sowohl hamas als auch große teile der fatah diese ablehnen? wo sind die appele an die eigene front israel nicht mehr anzugreifen (wie neulich wieder eilat und be shea)?

     

    fordert jemand ausgewogenheit - sollte er auch welche liefern.

  • D
    DocBenway

    Versuchen Sie doch mal unter PalästinenserInnen für die Idee eines binationalen Staates zu werben, wo doch ein großer Teil das Fortbestehen Israels auf keinen Fall hinnehmen will! Diese Option scheint mir tatsächlich ein für alle mal vom Tisch zu sein.

    Daß es "zwischen dem deutschen Völkermord an den Juden und dem Nahostkonflikt" "keinen kausalen Zusammenhang" gibt, möchte ich bestreiten, wenngleich sich tatsächlich keine direkte Herleitung ergibt.

    Regelrecht zynisch ist jedenfalls die Behauptung, PalästinenserInnen müßten für den Holocaust büßen.

    Und Genschman kann mir gestohlen bleiben. Der würde sicher gleich die ganze Gegend balkanisieren. Was die FDP unter "ausgewogener" Nahost-Politik versteht, haben seine Erben doch deutlich gemacht.

  • M
    Moritz

    Guter Beitrag zum Thema Nahost. Die Verteufelung der Hamas bringt wenig, da diese Partei lediglich die Wut der Verzweifelten bündelt. In Nordirland gab es mit der Sinn Fein auch extremistische Parteien, die auf Gewalt und Bomben gesetzt haben um gegen Unrecht zu kämpfen. Die Israelis sind die stärkste Macht in der Region und könnten innerhalb weniger Wochen Frieden schaffen. Anscheinend wollen sie nicht, ihr Landhunger ist zu groß. Die israelische Regierung unter Netanjahu baut eher neue Siedlungen im Westjordanland, als dass sie einen Friedensprozess in Gang bringt. Mir hat mal ein Israeli erklärt, dass der Hass auf die Palästinenser besonders in der Wehrpflichtzeit der Armee geschürt wird. Da findet angeblich Brain-Washing statt, so nach dem Motto: "Der neue Holocaust steht schon bevor!".

  • WI
    Wehrdienst ist möglich

    Sehr geehrter Autor,

     

    das ableisten des Wehrdienstes in Israel ist sehr wohl möglich, wenn auch auf freiwilliger Basis. Erst neulich war von einer israelischen Araberin zu lesen, einer Christin übrigens, von denen es in Israel einige gibt, die wie ihr Vater freiwillig in der Armee dient.

     

    Meine zweite Anmerkung bezieht sich auf die teilweise mangelnde Geschichtliche Schulbildung in arabischen Schulen in Israel.

    Eine Israelische Araberin, die jetzt in Tel Aviv studiert, hat mir berichtet, dass sie auf ihrer (arabischen) Privatschule nichts über die Geschichte des Staates Israel gelernt hat. Der Geschichtsunterricht endete mit der Gründung des Staates Israel. Ihre Schule war eine der besten in ganz Israel, und trotzdem.

     

    Wenn man nun noch in einem radikalen Umfeld aufwächst, muss es schwer sein, sich der extremistischen Propaganda zu entziehen.

  • M
    mr.mammut

    Lieber Herr Hajjaj,

    ich finde es wichtig, dass Sie auf die Crux deutscher Außen- und Entwicklungspolitik hinweisen, die in veränderter Form 1,5 Mrd. jährlich einsparen, oder zumindest 'nachhaltig' einsetztbar machen würde. Da Sie die tendenziöse Haltung Deutschlands gegenüber Israel ansprechen, möchte ich dazu folgendes sagen. Zum einen wäre es wichtig klarzustellen, dass die historisch-moralische Verantwortung sich auch zunächst als solche ausdrücken müsste, d. h. mahnen, aufklären, kulturell austauschen und aufbauen etc. Dieser Verantwortung aber in erster Linie monetär nachzukommen, halte ich für falsch. Angesichts des Nahostkonflikts, der sich auch um Ressourcen, Wirtschafträume und Rohstoffe dreht, können geschenkte Atom-U-Boote, der bedingungslose Einlass in die OECD nicht als differenzierter Umgang mit dieser Verantwortung gesehen werden. Blinde Solidarität hilft niemandem und schürt nur den Konflikt. Statt auf der einen Seite Israel Militärsubventionen und wirtschaftliche Zugeständnisse zu vermachen und auf der anderen immer wieder Gelder in einen sinnlosen Wiederaufbau der Palästinensergebiete und eine korrupten Verwaltung zu pumten, sollte nur noch in Versöhnung, Gleichberechtigung und gemeinsame israelisch-palästinensische Projekte investiert werden.

     

    Für einen gerechten Frieden,

    Shalom.

  • M
    motja

    eine Zitat aus einem Interview von Dr. Hajjaj (2004): Wenn die Israelis ehrlich wären, müssten sie sagen: Wir haben durch die Gründung eines eigenen Staates, dessen Gründung vielleicht moralisch gerechtfertigt war, einem anderen Volk Schaden zugefügt. Wir bekennen uns zu dieser Verantwortung und erklären uns hiermit zu einer Geste des Guten Willens bereit, nämlich einige Tausend Palästinenser aufzunehmen - und die anderen werden entschädigt.... Aber es bedarf als ERSTES des Bekenntnisses zur eigenen SCHULD durch die Israelis...

     

    Dr. Hajjaj, wie wäre es mit den Zugeständnissen auf der anderen Seite?

  • O
    otto

    Wenn "Ausgewogenheit" bedeutet, die Mörder und Menschenschinder der HAMAS zu unterstützen,

    dann doch lieber weiter "unausgewogen"!

  • D
    Daniel

    Gute Friedenspolitik waere, die Fronten endgueltig zu klaeren, egal wer was bekommt.

    Offensichtlich sitzt Israel am laengeren Hebel, ich kann mir keinen Frieden vorstellen, solange Palaestinenser so nah an Israel leben - gebt ihnen Land abseits, werden gute Nachbarn und irgendwann werden die Grenzen anerkannt - aber nicht, solange Palaestinenser in Spuckweite Israels sind.