: Unruiniertes Universalglück
Vergnügliche Einkehr bei Kathi-Bräu. Ein Ausritt in und Ausblick auf den Frühling
Wer durch Praxis galvanisierte Mitteilungen machen möchte über Gaststätten und Lokale, die sich gegenüber dem Perfektibilitätsgedanken der Aufklärung zumindest noch als aufgeschlossen erweisen, der wird voller Verve und maßstabsuchend nach Bayern ausreiten und dort aber dalli in eines der gesegneten Segmente der Erdrunde preschen: in die Fränkische Schweiz.
Der Mensch ist anthropologisch maßgeblich bestimmt durch zweierlei – durch die Sprache und, so legt es der radikale französische Republikaner Claude Tillier in seinem mit Rinderzungen zu preisenden großhumoristischen Roman „Mein Onkel Benjamin“ (1843) überzeugend dar, durch die Fähigkeit, sich zu betrinken. Der Mensch ist im Sinne auch Schillers nur dort voll entwickelt und des Weiteren in irgendeiner Weise und Richtung entwicklungsfähig, wo er ohne Arg noch List und ohne störende Umstände herumhocken kann. Also beispielsweise in einem Gerhard Polt’schen „erdbebensicheren Gebiet“, also vornehmlich im Biergarten; wo er dann in einem traulichen Ambiente herumschwatzen darf und zudem eines jederzeit in unerschöpflicher Menge und extraordinärer Qualität vorrätigen Getränks habhaft zu werden vermag, eines Getränks, das sich reziprok-produktiv zur hellen, lichten Sprachlichkeit des Menschen verhält. Es handelt sich hierbei um das Bier.
Alle drei Universalglückskomponenten sind in Heckenhof im Zentrum der Fränkischen Schweiz aufs edel-irdischste miteinander verbunden. Das liegt zum einen an einer waldbuckeligen, von Hohlwegen und Feldgehölzen durchzogenen und tektonisch krisenfreien Landschaft, zum anderen an der Wirtschaft „Kathi-Bräu“.
Am besten schlägt man sich östlich von Bamberg via Heiligenstadt nach Aufseß durch und erklimmt anschließend eine kleine Anhöhe über den neuerdings zum „Wellness-Wanderweg“ beförderten Treckerpfad. Hinter einer generös arrangierten Baumgruppe eröffnet sich dem himmelblauen Blick zunächst ein gar nicht hinterfotzig genug zu verfluchender Parkplatz für jene Biker, die das „Kathi-Bräu“ zum „Szenetreff“ erkoren haben und wochenends als „Wheelies“ das „hopfige Nass“ (bikeandmedia.de) in die Lederkörper importieren, um hinterher folgende Bike-and-Beer-Poetry ins virtuelle worldwide Hohlhausen zu pflanzen: „Ich geh nach Heckenhof seitdem ich 10 bin, da bin ich noch mit meinem Vater gefahren. Mittlerweile fahre ich selber und ich werde auch noch mit 60 Jahren dahin fahren, da ist es einfach super und die Kathi-Bräu in Heckenhof ist im Sommer schon so ne Art Familie.“
Ist sie, Gott sei es gedankt, unter der Woche nicht – sondern vielmehr ein anarcho-libertäres Gemütlichkeitsterrain at its best. Da rasten, sofern es denn auch mal wieder Frühling werden sollte, unter elysischer Laubüberdachung und in archäologisch wertvoller Ruhe um halb elf Uhr morgens junge Müßiggänger, Spazierleut, Handwerker, festgeschraubte Krugstemmer und gemischte Rentnermannschaften, die frohvollst das malzmuntere, nach „Geheimrezept“ der 1993 verstorbenen Braumeisterin Kathi Meyer verfertigte braune Lagerbier einsaugen, das zwischen Plackenschwarz und Lakritzbraun changiert und durch seine kompottartigen Komponenten zuweilen an Schwarzbier oder sonst was erinnert. Eine Katze sieht das ebenfalls für geraten an, sofern sie nicht im wilden Garten neben dem durch und durch unruinierten, weil unrenovierten Gasthaus inklusive finsterem Schankraum, schwankendem Steinboden, Rinnenpissoir und Eistruhe herumtapst oder -fläzt.
Draußen darf es zwar auch eine Brotzeit sein resp. ein Käsekuchen; doch wer „auf den Keller geht“, wie es heißt, wenn man in Oberfranken in den Biergarten marschiert, der hält a) keine „Benzinreden“ (s. o.) und bleibt b) „den ganzen Tag sitzen, verdammt!“ (K. Sokolowsky), nämlich beim Bier – und höchstens bei einem Zusatzteller Sauerkraut. Er weiß dann, dass auf der hiesigen „Agora reborn“ nicht bloß die „unheimliche Macht von Hademar Bankhofer“ angemessen erörtert und eine fürwahr fortschrittliche Debatte über Biker geführt werden kann, über Stahlrossdompteure, die im Münchner Englischen Garten den Bärlauchsammler Professor S. in den Wahnsinn treiben. Er erfährt obendrein, dass am Tisch der Wissenden ab Seidla Nummer fünf (0,5 Liter, 1,60 Euro) noch weit über Luthers Tischredenidiotien hinaus der diverseste Quark und versierteste Schrott in die Dialogspirale flutscht; so dass er zuletzt volle Kartusche „am Baum der Erkenntnis genascht hat“ (E. Stoiber) und es ihm mithin nachgerade vernünftig dünkt, ergänzende drei bis sechs Runden lang den Arsch nicht mehr hochzukriegen.
Oder er schaut klappehaltend einer fingernagelgroßen grünen Raupe zu, die sich über Stunden hinweg stillvergnügt und lässig leuchtend in der Bierpfütze auf dem Holztisch wälzt. Sofern, wir mahnen das noch mal schärfstens an, der verdammte Frühling endlich den Arsch hochkriegt.
JÜRGEN ROTH