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Uni-Projekt zur IntegrationZum ersten Mal Straßenbahn fahren

Integration könnte so einfach sein: StudentInnen der Erziehungswissenschaften treffen sich einmal pro Woche mit Kindern der Kreuzberger Otto-Wels-Grundschule, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Doch das Projekt wird nicht ausreichend unterstützt.

Auch das ist Integration: Zum ersten Mal in eine Straßenbahn einsteigen. Bild: AP, Caroline Pankert

Asya macht heute zwei Dinge zum ersten Mal. Eines davon ist, mit der Straßenbahn zu fahren. Als die gelben Wagons der M4 an die Haltestelle am Alexanderplatz rattern, greift Asya nach Larissas Hand. Dann gehen die Türen auf und die beiden erklimmen die drei großen Stufen.

Asya ist in Kreuzberg zu Hause. Dort gibt es keine Tram - so wie fast im gesamten Westen der Stadt. In den Osten Berlins kommt die Achtjährige mit ihren Eltern nicht. Doch an diesem Nachmittag ist Asya mit "ihrer Studentin" unterwegs. Die 22-jährige Larissa Kantner hat das Mädchen mit den großen braunen Augen vom Hort abgeholt. Gemeinsam sind sie mit der U-Bahn zum Alex gefahren. Die Tram bringt sie nach Prenzlauer Berg. Dort wollen sie in einer Werkstadt Kerzen ziehen. Das haben beide noch nie gemacht.

Siebzehn Mentoren-Paare

Die Grundschülerin und die Studentin bilden eines von insgesamt siebzehn Paaren, die sich seit Oktober einmal wöchentlich treffen. Siebzehn StudentInnen der Erziehungswissenschaften, die später einmal GrundschullehrerInnen werden wollen, verabreden sich mit Kindern der Otto-Wels-Grundschule in Kreuzberg. Eine Schule im "sozialen Brennpunkt", wie Konrektorin Brunhilde Focke sagt: Fast 92 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund. Die meisten sind türkischstämmig. Asyas Eltern sind Aleviten aus Ostanatolien.

"Asya ist eine Type", sagt ihre Klassenlehrerin Kerstin Schlag. "Sie ist ein sensibles Mädchen mit einer intensiven Wahrnehmung." Manchmal fehle ihr jemand, der sich dieser Besonderheit annimmt. Deshalb habe sie Asya für das Projekt ausgewählt.

Zehn mal haben sich Asya und Larissa schon getroffen, waren zusammen beim Schlittenfahren auf dem Kreuzberg und haben Figuren aus Salzteig gebacken. Sie haben das Naturkundemuseum besucht, waren in der Bibliothek und in einer Keramikwerkstatt. An "Larissa-Tagen", wie die Zweitklässlerin die Treffen nennt, ist Asya schon morgens aufgeregt. "Wenn sie kommt, ist sie fröhlich und erzählt stolz, was die beiden vor haben", erzählt die Lehrerin.

Beim Kerzenziehen ist Asya ganz ruhig. Konzentriert hält sie den Docht über das heißen Wachs. Larissa hat ihr aufgetragen, die Zeit zwischen den einzelnen Wachstauchgängen zu stoppen. Seitdem lässt Asya die Zeiger der Wanduhr nicht aus dem Blick.

"Ich unternehme mit Asya, was ich als Kind mit meinen Eltern gemacht habe", sagt Larissa. Die 22-jährige studiert im fünften Semester Grundschulpädagogik an der FU Berlin. "Das Projekt bringt mir viel mehr für meinen späteren Beruf, als ein theoretisches Seminar." Petra Wieler, Professorin für Erziehungswissenschaften und Grundschulpädagogik betreut das Projekt an ihrem Lehrstuhl. Ihr ist wichtig, dass der Lehrplan ihrer Studentinnen mehr Bezug zur Praxis bekommt. "Der persönliche Kontakt und die Verantwortung die die Studentinnen übernehmen müssen, wirken persönlichkeitsbildend", sagt sie. Darüber hinaus bekommt Larissa mit Asya Einblick in eine Welt, die sie nicht kennt. Zwar wohnt die Studentin genau wie Asya in Kreuzberg. Aufgewachsen ist sie jedoch in Steglitz. Auch Asya erweitert mit Larissa ihren Aktionsradius. "Wenn die Kinder am Montag erzählen, was sie am Wochenende gemacht haben, können sie oft nur berichten, dass sie im Supermarkt waren", sagt Klassenlehrerin Schlag. "Oft spielt sich das Leben der Kinder nur in der Familie ab." Oder vor dem Fernseher oder der Spielekonsole.

Die Idee für das so genannte Nightingale-Programm schaute sich die Konrektorin der Otto-Wels-Grundschule 2005 in Schweden ab. Nightingale steht für die Nachtigall, den "kleinen Vogel, der wunderschön singt, wenn er sich wohl fühlt." Durch das Mentorenprogramm sollen auch die Kinder an Selbstbewusstsein gewinnen. In Schweden nehmen mittlerweile 800 Paare pro Schuljahr an dem Projekt teil. Auch in Berlin kommt Nightingale nun schon ins vierte Jahr. Trotzdem sind bislang keine weiteren Schulen hinzugekommen.

Der Grund: Es gibt bislang keine Senatsinitiative, das Projekt regulär an Grundschulen in Problemvierteln zu etablieren. Deshalb gibt es auch keine geregelte Finanzierung. Die Auswahl der Schulkinder und die Betreuung der Eltern übernehmen Konrektorin Focke und Klassenleiterin Schlag ehrenamtlich. Zwar bezieht das Institut für Erziehungswissenschaften, bei dem das Projekt an der FU angesiedelt ist, Gelder aus einem Fördertopf der Europäischen Union. Dieses Geld ist jedoch zweckgebunden und darf ausschließlich für die Ausgaben der Universität verwendet werden. Was fehlt, ist das Geld für Eintritte und andere Kosten, die bei den Unternehmungen der Paare anfallen. Und das, obwohl Integration kaum günstiger zu haben wäre. Zehn Euro sind für jedes Treffen eines Paares vorgesehen. Eine bezahlte Koordinierungsstelle könnte weitere Schulen in das Projekt integrieren.Weil das nicht geplant ist, bleibt es einstweilen bei dem kleinen Pilotprojekt.

Kunstvolle Kerzenspiralen

In der Werkstatt haben Asya und Larissa ihre Kerzen mittlerweile eingefärbt und zu kunstvollen Spiralen gedreht. Als die beiden ins Freie treten, ist es bereits dunkel. An Asays Haustür ankommen, ist die Klingel kaputt. Larissa ruft das Mobiltelefon von Asyas Mutter an. Es ist besetzt. Auch nach mehrmaligem Versuchen. Ein wenig ratlos warten die beiden unter der trüben Neonleuchte vor der Tür. Wer weiß, wie lange Asyas Mutter noch telefoniert? Larissa blickt auf die Uhr. Sie ist mit einer Freundin zum Kino verabredet und würde ihre Verantwortung gerne wieder abgeben.

Dann öffnet plötzlich von innen jemand die Türe und beiden können ins Haus. Oben angekommen zeigt Asya stolz die selbst gemachten Kerzenkunstwerke. Als Larissa sich verabschiedet, verschwindet Asya vor den Fernseher im Wohnzimmer.

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3 Kommentare

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  • D
    denninger

    Bitte, bitte "Ilona II" jetzt aber keinen Sozialneid.

    Aber wie bei allen Projekten wird hier nur ein Teil der Kinder erfasst. Ich vermute einmal, es handelt sich, bedingt durch bewusste oder unbewusste Triage um die Elite der "vielleicht noch integrierbaren" Migantenkinder. Gegen die Eltern und deren Vorstellung vom kindlichen Lebensraumes kann sich weder Schule noch Projekt durchsetzen.

    Im Klartext:

    Wenn Vater und Mutter die Gesellschaft um sich herum ablehnen und für die Kinder der einzige Kontakt zur Aussenwelt der Schulbesuch (mit 92% Migrantionsanteil SCNR) ist kann auch kein Projekt helfen.

    Andere Länder verknüpfen die unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder den ungekürzten Sozialhilfesatz mit dem Nachweis einer mindestens befriedigenden Sprachkompetenz in der Landessprache.

    Oder ist eine solche Forderung rassistisch oder gar ausländerfeindlich?

    Wer die Landessprache kaum oder gar nicht beherrscht igelt sich natürlich in seinem ehnischen Biotop ein. Das Argument der verbesserten Chancen auf dem Arbeitsmarkt zieht dann auch nicht mehr.

    Vielleicht hilft nur noch der Hinweis auf einschneidende Konsequenzen bei der anhaltenden Verweigerung der Integration in die Gesellschaft.

  • K
    karo

    @IlonaII

    selbsternannt oder vom Senat - eine bezahlte Koordinierungsstelle ist schon nötig, um das Projekt auf weitere Schulen auszuweiten. Denk mal dran, mit wieviel Bürokratie Schulen sowieso schon belastet sind.

    Und 10 € für Eintritte und andere Kosten, die bei den Unternehmungen anfallen sind wohl nicht übertrieben - für jedes Treffen eines Paares.

  • II
    Ilona II.

    Das is sicher für beide Seiten -- die Kinder und die Lehramtstudenten -- gut und sinnvoll. Aber wieso soll jetzt der Steuerzahler dafür blechen? Wer bekommt das Geld eigentlich? Die Kinder? Die Studenten? Oder irgendwelche selbsternannten "Projektträger"?