Ungleiche Behandlung in Unternehmen: Chefs besonders häufig kriminell
Wer in der Firmenhierarchie weiter oben steht, kann sich mehr leisten – auch kriminelle Handlungen. Der Chef-Schaden beträgt 3,5 Milliarden Euro pro Jahr, so das BKA.
FRANKFURT/MAIN taz | Wer als unterbezahlter kleiner Angestellter nach einer Jubiläumsfeier etwa eine übrig gebliebene Frikadelle vom Firmenbuffet mopst, darf sich in Deutschland seine Papiere im Personalbüro abholen.
Veruntreut dagegen eine Führungskraft eine Million Euro – das ist der Durchschnittsschaden, der großen Unternehmen durch wirtschaftskriminelle Handlungen entsteht –, decken betroffene Firmen aus Angst vor einem Imageschaden oft den Mantel des Schweigens darüber. Selbst firmenintern werden die Delinquenten deshalb vielfach geschont.
Das jedenfalls ist ein Ergebnis einer Studie zur Wirtschaftskriminalität in 69 Ländern, die von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Auftrag gegeben und am Mittwoch in Frankfurt/Main vorgestellt wurde. Vertuschen sei aber "mit Blick auf die Präventionsarbeit" eine vertane Chance, sagte Frank Hülsberg, der als externer Experte maßgeblich an der Erhebung der Daten beteiligt war, "denn die ganz überwiegende Mehrheit der Betrüger sind Mehrfachtäter".
3,5 Milliarden Euro – pro Jahr
Untersucht wurden 350 bekannt gewordene Delikte – darunter 22 Fälle in Deutschland – in börsennotierten Unternehmen. Die Dunkelziffer sei hoch, so Hülsberg, der auf Zahlen des Bundeskriminalamtes verwies, wonach nur ein Fünftel aller Wirtschaftsstraftaten mit einem Schaden von über einer Million Euro überhaupt öffentlich kommuniziert werde. Den Gesamtschaden schätzt das BKA auf 3,5 Milliarden Euro pro Jahr.
Der Studie nach ist der typische Wirtschaftskriminelle männlich, Mitte 30 bis Mitte 40 Jahre alt und langjähriger, mit Führungsaufgaben betrauter, in der Hierarchie weit oben stehender Mitarbeiter im Finanz- oder Vertriebsbereich, "der die Prozesse in- und auswendig kennt und so Kontrollmechanismen leicht außer Kraft setzen kann". Dass der Frauenanteil am Betrügen, Bestechen und Fälschen nur 13 Prozent beträgt, führt Hülsberg allerdings auch darauf zurück, dass Frauen in solchen Positionen eben seltener zu finden seien. In den USA etwa - dort seien Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten längst keine Seltenheit mehr - würden denn auch doppelt so viele Frauen wie in Deutschland als Wirtschaftskriminelle auffällig.
Und was rät der Experte? Weltweit müsse sich das Management "klar und eindeutig zu einer Null-Toleranz-Haltung gegenüber Regel- und Gesetzesverstößen bekennen", so Hülsberg. Dieser "wichtige Beitrag zur Unternehmenskultur" sollte überall "Chefsache werden".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht