■ Ungeziefer auf dem Vormarsch?: „Man muß sie knacken wie Nüsse“
Richard Fleck, 77 Jahre, Rentner
Das letzte Mal hatte ich Läuse, als ich 1945 wegen meines jüdischen Vaters im Knast saß. Mit sieben Leuten in einer Einmannzelle. Die andern haben mich wegen der Läuse von der Matte geworfen, und ich mußte auf dem kalten Boden schlafen. Ratten sind dagegen doch possierliche Tierchen. Ich wollte sie gegen die Läuse abrichten, hat leider nicht geklappt. Die muß man knacken wie Nüsse.
Cornelia Ulrich-Georg, 39 Jahre, Kindergärtnerin
Daß das Ungeziefer auf dem Vormarsch sei, ist Quatsch. Flöhe und Läuse hatten Kinder schon immer. Auf unserem Hof lebt seit langem eine Rattenfamilie. Die haben wir eigentlich ganz gern, ab und zu werfen wir ein Stückchen Speck runter. Eine Zeitlang hatten wilde Katzen sie vertrieben. Seitdem die Nachbarn jedoch Gift ausgelegt haben, sind die Katzen tot und die Ratten wieder da.
Michel Boveleth, 19 Jahre, Rattenzüchter
Meine Ratten lasse ich frei im Haus herumlaufen. Verwöhnt, wie die sind, kommen die schon zurück, wenn sie hungrig sind. Die fressen dasselbe wie ich. Wenn meine Ratten Junge bekommen, schmeiße ich die aus dem Fenster. Aus dem vierten Stock geworfen zu werden, überlebt auch eine Ratte nicht, nehme ich an. Für die Rattenvermehrung in Berlin bin ich also nicht verantwortlich.
Holger F., 23 Jahre, studentischer Kammerjäger
In Berlin hausen weit mehr Ratten als menschliche Bewohner. Hat man sie im Haus, hilft keine Chemokeule, sie loszuwerden. Es gibt nur einen sicheren Weg: Man muß sich eine Ratte schnappen und sie bei lebendigem Leibe verbrennen. Ihre Angstschreie und der Gestank vertreiben das ganze Rudel. Die kommen nie wieder. Aber wer übernimmt diese Arbeit schon gerne?
Jurij Kramer, 54 Jahre, Regisseur
Meine Kindheit habe ich in Moskau verbracht. Einmal waren mir Leute ohne Nase aufgefallen, nur mit Löchern im Gesicht. Als ich meine Mutter danach fragte, erklärte sie mir, Ratten hätten ihnen im Schlaf die Nase abgebissen. Waren wohl Säufer, normalerweise merkt man so etwas ja. Stell dir vor, du wachst morgens aus dem Koma auf und hast keine Nase mehr. Fast wie in der Gogol-Erzählung ...
Anne Scheer, 29 Jahre, Schauspiellehrerin
Kakerlaken bin ich aus meinem Heimatland Australien gewöhnt. Leider haben hier die Kammerjäger noch sehr altmodische Techniken. Ich vertreibe Ungeziefer meist durch Lärm. Als sehr wirkungsvoll erwies sich zum Beispiel die „Bodycount“-CD. Mit Ratten habe ich auch allerlei Erfahrungen gesammelt. Mit dem Obdachlosentheater gleichen Namens probe ich zur Zeit den „Woyzeck“.
Umfrage: Noäl Rademacher
Fotos: Rolf Zöllner
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