: „Ungewöhnlicher Journalismus“
Den fand einst Florian Illies („Generation Golf“) in der taz Berlin und nahm ihn zum Vorbild für seine „Berliner Seiten“ der „FAZ“. Diese Seiten gibt es nicht mehr, der ungewöhnliche Journalismus aber lebt. Und wird zum 25. Geburtstag beglückwünscht
Klaus Wowereit
Klaus Wowereit (SPD) ist seit 2001 Regierender Bürgermeister: 25 Jahre taz berlin und dazu dieses Sommergefühl: ein sonniger Vormittag in einem Straßencafé, Milchkaffee schlürfen, taz lesen. Wenn man sich bei der Lektüre schon mal ärgert, denkt man doch gleich an die ewigen Kämpfe der taz mit sich selbst (natürlich längst vorbei, aber so was prägt fürs Leben), mit dem Geld (prägt auch fürs Leben) oder den Lesern (die man gerne fürs Leben prägen möchte, was zu Redaktionsbesetzungen führen kann) – ach good old täzchen.
Solidarität ist ja auch für die taz berlin mehr als nur ein Wort. Sie kämpft für die Rechte von Frauen, Immigranten und Immigrantinnen, Schwulen und Lesben und hat sich damit verdient gemacht um ein weltoffenes und tolerantes Berlin. Dabei bewahrt sich die taz berlin einen ganz eigenen Blick auf die Stadt, ihre Unabhängigkeit hält sie und ihre Leser frisch.
Die taz – das ist Kreuzberg pur, heute wie vor 25 Jahren (auch wenn die taz im Wedding begann), und das Motto: Nur wer sich verändert, bleibt sich treu. Statt „Waffen für El Salvador“ nun der tazpresso, natürlich fair gehandelt. Kreuzberg ist ja auch kein Paralleluniversum mehr. Auch wenn die Axel-Springer-Straße demnächst in die Rudi-Dutschke-Straße mündet, Ironie der Geschichte bedeutet keineswegs Harmonisierung von Gegensätzen. Die alten Zähne beißen noch. Von daher muss man sich keine Sorgen machen um die nächsten 25 Jahre taz berlin.
Herzlichen Glückwunsch!
Florian Illies
Florian Illies leitete von 1999 bis 2002 die „Berliner Seiten“ der FAZ und gibt heute das Magazin Monopol heraus: Der Berlin-Teil der taz ist offenbar die einzige Kulturinstitution, die den Lauf der Zeit unbeschadet übersteht. Als eine Gruppe von Redakteuren im Jahre 1999 zunächst in Frankfurt über die zu gründenden „Berliner Seiten“ der FAZ nachdachte, gehörte dieser Berlin-Teil tagtäglich zur Inspirationslektüre: weil er zeigte, was möglich ist an ungewöhnlichem Journalismus in dieser großen, fernen Stadt, wenn man die Stadt vor allem als Lebensraum begreift, in dem sich die Gegenwart und die Geschichte austoben.
Als wir dann für zwei Jahre mit großer Lust die „Berliner Seiten“ gestalten durften, lasen wir die taz berlin als stimulierende Konkurrenz: als Humorkonkurrenz, als Kreativitätskonkurrenz, als Graswachshörkonkurrenz, als Subkulturkonkurrenz. Und heute? Heute steht die taz berlin für die Mittagspause. Denn sie ist die einzige Zeitung beim kleinen Italiener um die Ecke. Und beim Warten auf die Pasta lese ich sie, ganz ohne Konkurrenzgedanken, höchstens mit ein bisschen Hunger.
Volker Hassemer
Volker Hassemer (CDU) war von 1991 bis 96 Stadtentwicklungssenator und dann bis 2001 Chef der Marketinggesellschaft „Partner für Berlin“: Ich bewundere die taz berlin, weil sie es 25 Jahre geschafft hat, mehr Überblick und Einsicht glaubwürdig zu behaupten, als sie in Wirklichkeit hat.
Joanna Kiliszek
Joanna Kiliszek ist Direktorin des Polnischen Instituts in Berlin: Wie lernt man am schnellsten Deutsch? Und zwar auf einem Niveau, um nicht nur einfach zu kommunizieren, sondern auch komplizierte Gedankenkonstruktionen zu begreifen und alle Nuancen der Sprache erfassen zu können? Angesichts dieses Problems stand ich im Jahre 1992, als ich mir damals die deutsche Sprache an einem dafür recht untypischen Ort, in Brüssel, selbst beibrachte. Die Antwort kam unmittelbar. Eben dank der taz. Diese Andersartigkeit, die diese Tageszeitung von allen anderen unterscheidet, der anspruchsvolle Stil mit Witz, die grafische Erscheinung, hervorragende und für die Presse untypische Sparten – Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Medien, Extrabeilagen und ein exzellenter Kulturteil – zogen mich magnetisch an. Dank dieser Texte lernte ich blitzschnell Deutsch.
Mit der Zeit hatte ich die Ehre und Freude, einige der Journalisten, deren Texte ich stets las, kennen zu lernen, darunter Harald Fricke und Uwe Rada. Ich wünsche meiner deutschen Lieblingstageszeitung zu ihrem 25. Gründungsjubiläum zahlreiche weitere Jahre des Bestehens, viele Leser und Abonnenten und vor allem, dass der für Deutschland untypische Stil, die Mühen und die Raffinesse stets gewürdigt werden. Vielleicht ist es kein Zufall, dass so einzigartige „Kinder“ im Jahr 1980 geboren worden sind – in Deutschland die taz und in Polen die Solidarność-Bewegung, über die, ähnlich wie über andere polnische Angelegenheiten, die taz von Beginn an konsequent berichtet.
Tanja Dückers
Tanja Dückers ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Zuletzt erschien ihr Roman „Himmelskörper“: Die taz berlin wird 25! Das ist ein Grund zu feiern, denn die taz hat die Berliner Medienlandschaft um einen angenehm unprovinziellen Lokalteil bereichert: keine tantigen Geschichten über Hunde, die Einbrechern in die Hand beißen, oder über runde Geburtstage von Krankenhäusern, stattdessen Fundiertes über soziale Themen – ob über Lidl-Streiks, über Kürzungen im Bildungssystem oder über die Situation von Berliner Hartz-IV-Empfängern, Migranten oder Menschen in Abschiebehaft. Die taz berlin beleuchtet immer auch die weniger glamouröse Seite der Stadt. Zu Zeiten der Neo-Cons und des nervigen „Hauptstadtbooms“ Mitte, Ende der Neunziger hat sie eine andere Tonlage angeschlagen und „genauer“ hingeguckt.
Sie hat sich auch immer wieder herausgenommen, dem rot-roten Senat von Zeit zu Zeit die Leviten zu lesen, auch wenn’s ein linker ist. Politisch ist sie insgesamt einigermaßen unabhängig geblieben und traut sich Kritik „von links nach links“ zu.
Von dumpfer linker Kuhstallwärme hat man sich mittlerweile weit entfernt. Man ist weniger betroffen und mehr analytisch geworden. Was ich mir wünschen würde, wäre mehr über aktuelle Ausstellungen (Kunstkritik) im Lokalteil und nicht nur im Feuilleton. Denn Berlin wurde schon immer neben der Armut von der Kunst regiert.“
Renate Künast
Renate Künast ist Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. 1985 saß sie erstmals für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Ab 2001 war sie Verbraucherschutzministerin der rot-grünen Bundesregierung: „Stolz und Vorurteil“ sind jetzt zwar in aller Munde, weil der gleichnamige Film in den Kinos zu sehen ist, aber die 25-jährige Geschichte von taz und Grünen ist wohl eher eine Story über „Distanz und Nähe“.
Keine Zeitung hat so lebhaften Anteil an den Diskussionsprozessen innerhalb der Grünen genommen wie die taz, auch in Berlin. Ob die Bildung der ersten rot-grünen Regierung, die Vereinigung mit Bündnis 90 oder die Abschaffung des Rotationsprinzips, die taz war immer ganz nah dran, berichtete zuerst und hatte das Ohr dicht am Flurfunk. Es war die taz, in der ich 1992 bekannte, schon mal einen Joint geraucht zu haben. „Hand aufs Herz, Frau Künast. Wie viele Joints haben Sie in Ihrem Leben schon geraucht? Renate Künast: Weit mehr, als ich Jahre alt bin.“
Bei so viel Nähe und investigativem Journalismus hatten taz und Alternative Liste, wie die Grünen in Berlin damals noch hießen, folgerichtig viele Kämpfe auszufechten. Zur Distanz kam es in meiner Erinnerung 1989, als wir Regierungsverantwortung in der ersten rot-grünen Koalition auf Berliner Landesebene übernahmen und die taz mit Verve postulierte, sie wolle nicht das Amtsblatt von Rot-Grün sein. In der Folge wurde unser Handeln in der Regierung besonders kritisch beäugt und stets auf gehörige Distanz geachtet. Für das journalistische Selbstverständnis der taz war es ein Muss, sich aus der engen Verbindung zur Alternativen Liste zu lösen. Für uns, die wir uns auf den Prozess des Regierens eingelassen hatten, schien die Kritik der taz dagegen hin und wieder um der Distanz willen geäußert. Wie macht das eigentlich ein konservatives Blatt? Ist es bis heute das Geburtsrecht der Konservativen, zu regieren, während die Linke immer nur vorübergehender Gast auf der Regierungsbank sein darf und auch das nur mit öffentlich zur Schau getragenem Leid? Für mich ist es eine Frage von Verantwortung: Wer etwas verändern will, muss Visionen haben und sich dann auf den Weg der Kompromissfindung machen. Auf allen Instrumenten müssen wir spielen können: Regierungsverantwortung übernehmen, gesellschaftliche Diskurse anzetteln und vor Ort ins Konkrete gehen.
Zum Thema Engagement gibt es in den Annalen von taz und Grünen in Berlin ein wohltätiges Ereignis: Als im Jahr 1997 die Oderflut schwere Schäden in Polen hinterlassen hatte, wurde ein gemeinsames Sportevent organisiert. Die Einnahmen aus dem Fußballspiel, dass 6:3 für die taz endete und mit einer hohen Verletzungsquote auf beiden Seiten einherging, kamen einem Sportverein in Krakau zugute. Auch wenn die Abgeordnetenhausfraktion das Sportforum Hohenschönhausen mietete und damalige (lokale) Größen wie Michael Sontheimer, Christian Füller und Andreas Schulze auf dem Platz standen: Ohne die massive Anzeigenschaltung und unentwegte Berichterstattung der taz hätte dem Sportclub in Krakau niemals diese hohe Spende
überwiesen werden können. Also: klare Absage an „Stolz und Vorurteil“! Wir brauchen einander, deshalb bleibt es ganz kreativ bei Distanz und (!) Nähe.
Auf weitere 25 Jahre!
Klaus Lederer
Klaus Lederer ist designierter Landesvorsitzender die Linke.PDS: „Salute! Vor 25 Jahren wurde die Berlin-Redaktion der taz gegründet. Aber es dauerte geschlagene zehn Jahre, bis sie von der PDS Notiz nahm – im Februar 1990. Zugegeben, das lag nicht an der taz, sondern an der Partei des Demokratischen Sozialismus. So hießen wir nämlich seither richtig.
Es muss eine wilde Zeit gewesen sein. Fast jeder suchte irgendwas, viele sogar sich selbst. Die Ostgrünen wünschten sich Partner für die Volkskammerwahl. Sie würden fast alle nehmen, schrieb die taz damals, nur nicht die PDS und die anderen Blockparteien.
Vielleicht habt ihr so zögernd auf die PDS gesetzt, weil wir damals als Auslaufmodell galten. Nicht ohne Grund. Aber das kennt ihr ja. Wie oft wurde die taz totgesagt, und sie lebt noch immer. Gut so.
Eine Schlagzeile aus der Berlin-Redaktion ist uns übrigens runtergegangen wie Öl. Nach dem Landesparteitag 1997 war zu lesen: „PDS auf dem Weg zur modernen sozialistischen Bürgerrechtspartei!“ Das gilt seither als Maßstab – auch für guten, linken Journalismus. Natürlich habt ihr – nunmehr 25-jährig – schneller gemerkt, dass wir schon wieder anders heißen: die Linkspartei. Und als solche haben wir noch viel vor.
Deshalb empfehle ich für die Zukunft folgende Arbeitsteilung: Die Berlin-Redaktion der taz passt auf, dass wir alles richtig machen, und ich wünsche uns dabei viel Glück.
Gesine Schwan
Gesine Schwan ist Präsidentin der Europauniversität Viadrina. Zuvor war sie Professorin an der FU-Berlin: „Journalismus braucht das Vertrauen seiner Leserinnen und Leser – auch und gerade im Lokalen. Wenn das Publikum ihm nicht mehr zutraut, die wichtigen und die richtigen Fakten auszuwählen und die richtigen Bewertungen vorzunehmen, dann kann er seine Aufgabe nicht mehr erfüllen.
Dieses Vertrauen in unsere Medien war Ende der 1970er-Jahre offensichtlich in einem Teil unserer Republik erschüttert. Die taz hat es wieder hergestellt. Als ein im besten Sinne streitbares Blatt, das sich jenseits des Mainstreams um andere Themen und Formen gekümmert hat. Dass aus diesem Kampfblatt der neuen sozialen Bewegungen in einem sicher nicht schmerzfreien Prozess eine angesehene Tageszeitung geworden ist; dass die taz aber trotzdem nicht das ihr von Anfang an entgegengebrachte Vertrauen verloren hat – das ist eine Leistung, die man kaum genügend würdigen kann. Ich gratuliere dem Berlin-Teil zum 25-jährigen Jubiläum!