Ungeliebter Fußballer Erling Haaland: Superstar wider Willen
Der norwegische Stürmer Erling Haaland ist weltweit der Beste auf seiner Position und dennoch fliegen ihm die Sympathien nur spärlich zu. Warum nur?
N iemand liebt Erling Haaland. Na ja, gut, ein paar seiner Peers – Partner*in, Eltern, Freund*innen – werden ihn sicher lieben, sonst hätte er nicht dieses unverschämt uneitle, unverblümte und unvoreingenommene Lächeln drauf, das man ihm bei all seiner Kantigkeit trotzdem abnimmt – oder gerade deswegen. Es ist durchaus erstaunlich, dass ein Spieler, der unbestritten der Beste auf seiner Position ist, derart wenig Zuneigung erfährt. Sieben Thesen dazu:
1. Haaland ist der Antipode zum Terminator: Er ist überaus zugänglich, liebenswert, dabei aber auf dem Feld genau diese Mensch-Maschine, die Schläge und Tritte der Verteidiger ohne weiteres schluckt, ja noch nicht einmal von ihnen angefasst wird. Er ist immer schneller, höher, weiter, aber halt ohne den Bruch, den solche Overperformer miteingeschrieben haben sollten; eigentlich glauben ihm die meisten seine Fabelquoten nicht. Er ist das Gegenteil eines 90er-Jahre-Helden und dabei aber Sylvester Stallone. Die Älteren misstrauen ihm deswegen.
2. Erling Haaland ist ein Arbeitstier. Die Unverwüstlichkeit seines Körpers und seines sonnenscheinigen Wesens müsste doch eigentlich aufgehen in einer Art Gemeinheit, die den Grund dieses überambitionierten Einsatzes darstellt: irgendeine Art von Trauma, von Bruch. Bei Haaland ist da aber überhaupt nichts zu finden. Er pflügt die Erde und freut sich der Kartoffeln, die er dann erntet. Haaland ist ein Arbeiter, dessen Fehler ist, viel zu gut bezahlt zu werden.
3. Und von wem? Von Manchester City. Würde er in Liverpool spielen oder bei den Bayern, es gäbe sicher Leute, die ihn bedingungslos liebten. Aber Haaland ist bei all seiner Erdigkeit eben doch kein Romantiker; niemand in diesen Sphären ist das. Er sieht sich bei ManCity wertgeschätzt, vielleicht wie ein Pfleger, der links ist, aber trotzdem bei einem katholischen Pflegeheim anheuert: Wenn Haaland ein Arbeiter ist, dann ist er kein Unionist, kein Gewerkschafter.
Hier sieht alles ungewohnt aus? Stimmt, seit Dienstag, 15.10.2024, hat die taz im Netz einen rundum erneuerten Auftritt. Damit stärken wir, was die taz seit Jahrzehnten auszeichnet: Themen setzen und laut sein. Alles zum Relaunch von taz.de, der Idee dahinter und der Umsetzung konkret lesen Sie hier.
4. Die Dekade davor haben Spieler bestimmt, deren Rolle uneindeutiger war als Haalands. Haaland ist der Vollstrecker, Haaland ist die Tastenkombination, die bei Mortal Combat den angeschlagenen Gegner komplett zerlegt. Davor waren zehn oder fünfzehn Jahre lang Spieler entscheidend, die selbst Regie geführt haben, das Spiel gelesen, interpretiert und gesteuert haben. Mit dem Niedergang des Autorenfilms sind ausgerechnet im Fußball diese Figuren aufgetaucht, die den Fußball besser verstanden als alle, die draußen standen; wenn man sieht, wie Messi seine Mitspieler coacht, um sich Raum zu machen, welches tiefe Verständnis er von Raum und Timing hat zum Beispiel, da wirkt Haaland freilich grobschlächtig.
5. Haaland ist ein Superstar wider Willen (noch). Eigentlich macht er nur das gut, was von ihm verlangt wird: mit einer Unbedarftheit, die gerne Naturgewalt genannt wird, Bälle ins Netz zu schießen. Er will (noch) gar nicht mehr bedeuten. Sein Erfolg aber verdammt ihn zu mehr: Was er macht, muss über ihn hinausweisen. Dabei ist sein eigentliches Geheimnis, dass er sich keinen Kopf macht: Aber das Publikum will ihn halt fressen wie Kronos, den Zeus fast fraß.
6. Was aber stimmt: Haaland ist nicht gemacht für Niederlagen. Neulich verlor Norwegen 5:1 gegen Österreich, und Haaland enthielt sich jedes Statements. Tore sind sein Beritt, Gegentore nichts, wozu er etwas sagen kann. Haaland ist nur dann Held des Fußballs, nur dann Held der Arbeiterklasse, wenn er vollständig strahlen darf und nicht durch das Ergebnis in Frage gestellt wird.
7. Und trotz all der Konflikte, die er auf sich zu nehmen sich weigert, bleibt er unverschämt gut und vor allem effizient. Seine Ein-Eindeutigkeit macht, dass er nicht geliebt wird; ich hoffe, das ist ihm so lange wie möglich egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich