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Ungebetene Besucher

■ betr.: „Die Stasi als Vaterfigur“, taz vom 3./4. 2. 96

Keine Gemeinheit, die man der Stasi nicht zutrauen könnte. Aber nicht nur das MfS besaß besondere „Feinfühligkeit“ bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, auch der bundesrepublikanische Verfassungsschutz und der polizeiliche Staatsschutz nutzt gerne die Unsicherheiten und Ängste junger Menschen, von denen sie sich Informationen erhoffen, aus. Vielleicht nicht so systematisch und allgegenwärtig, wie es die Stasi getan hat, aber das ist im Einzelfall dem/ der Jugendlichen, der/die „in die Mangel genommen wird“, egal. Ihn/sie kümmert es vielmehr, daß ein „Staatsschützer“ bei ihm/ihr im Ausbildungsbetrieb, in der Schule oder am Wohnort erschienen ist und seinen/ihren Chef, die Lehrer und KlassenkameradInnen befragt hat, und ihn/sie damit in seinem/ihrem Umfeld quasi zum/zur Gesetzlosen gemacht hat – nach dem Motto: „Der/die hat was auf dem Kerbholz, da war ja schon die Polizei wegen da ...“ Diese Art von Besuchern dient weniger der direkten Informationsbeschaffung, sondern ist Mittel zum Zweck, die Person zu verunsichern und, das mag kraß klingen, gefügig zu machen.

Ebenfalls beliebt ist ein „zufälliges“ Gespräch mit den Eltern. Der Herr vom Staschu erweckt zum Beispiel den Eindruck, daß ihm überhaupt nichts daran gelegen ist den/die JugendlicheN „in die Pfanne zu hauen“, sondern vielmehr ihn/sie aus dem ach so schlechten Umfeld, zum Beispiel AnfiFa, vermeintlich militante Tierschützer etc. herauszuholen. Das einzige, was dieser Mensch tatsächlich herausholen will, sind Informationen – zum Beispiel über persönliche Schwierigkeiten – die dann zum Beispiel bei einem Anwerbungsversuch gegen das Zielobjekt eingesetzt werden.

Bei den Werbeversuchen wird dem Opfer dann gerne das Gefühl vermittelt, daß die Behörde „ja sowieso schon alles weiß“. Damit wird ihm/ihr jeglicher Rückzug genommen. Der Verlauf möglicherweise anhängiger Prozesse wird in den schwärzesten Farben geschildert und auch mögliche Geldschulden – die durch einen Prozeß entstehen könnten – werden gerne erwähnt.

Das Programm, das dem/der Delinquentin angediehen wird, und das kann jedeR der/die es einmal mitgemacht hat, bestätigen, basiert auf jugendpsychologischen Grundlagen. Die Ausmaße der „Jugendbetreuung“ der Stasi mögen die des VS und Staschu um einiges übersteigen, aber es ist nicht zu verleugnen, daß auch hierzulande die speziellen Probleme Jugendlicher und junger Erwachsener gezielt zur Informationsbeschaffung ausgenützt werden. Kai Müller

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