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Ungarn hat keine Angst

■ MDF-Wirtschaftsexperte Bethlen fürchtet die deutsche Einheit nicht / Privatisierung des Staatseigentums geplant

Budapest (adn) - Die deutsche Einheit wird nach Auffassung des führenden Wirtschaftsexperten des Ungarischen Demokratischen Forums (MDF), Istvan Bethlen, seinem Land eher förderlich als hinderlich sein. Gegenüber dem Budapester adn-Korrespondenten erklärte das MDF -Präsidiumsmitglied und Berater des designierten Ministerpräsidenten, Jozsef Antall: „Wir haben keine Angst vor der deutschen Einheit. Die Eingliederung Mitteldeutschlands in die gesamtdeutsche Wirtschaft stört uns in keiner Weise.“ Ungarn müsse sich so oder so dem rauhen Wind des Weltmarktes stellen, da sei es egal, ob dieser mit einer Stärke von 6,0 oder 6,2 blase. Seine Partei begreife den Vereinigungsprozeß als Gebot der Weltgeschichte.

Wichtigste Aufgabe der neuen Regierung Ungarns auf ökonomischem Gebiet sei, die Zahlungsfähigkeit zu wahren und eine weitere Verarmung der Gesellschaft zu verhindern. Priorität genieße ferner die Reduzierung des Staatseigentums (90 Prozent) auf einen Anteil von rund 30 Prozent in 3 bis 5 Jahren. Die von seiner Partei geführte Regierung stehe deshalb vor der Aufgabe, schnell viele Klein- und Mittelbetriebe zu initiieren, die zumindest den größten Teil der durch Liquidierung und Privatisierung unrentabler Staatsbetriebe arbeitslos werdenden Menschen aufsaugen können. Mit Rücksicht auf Sozialverträglichkeit und gesellschaftlichen Frieden müsse man aber bei solchen Maßnahmen mitunter die zweitbeste Lösung in Kauf nehmen, so Bethlen, der jahrelang in der Bundesrepublik lebte und unter anderem Leiter der Akademie der CSU-nahen Hans-Seidel -Stiftung sowie Direktor der Bayrischen Vereinsbank war.

Ungarn wolle 1992 oder kurze Zeit später Vollmitglied der EG werden. Dieser Termin sei realistisch, weil den Sympathiekundgebungen des Westens auch Taten folgen müßten. Darüber hinaus berge die Aufnahme Ungarns nicht mehr Risiken als seinerzeit die Süderweiterung, und auch der Gewinn werde für die EG nicht kleiner sein.

Im RGW müsse man zunächst eine Bestandsaufnahme machen, da Rumänien derzeit als Partner de facto nicht existiere und die DDR bald auscheiden werde. Es erhebe sich also die Frage, ob der Rest überhaupt lebensfähig sei. Ungeachtet dessen werde Ungarn unter pragmatischen Gesichtspunkten jede regionale Wirtschaftsintegration mit der Sowjetunion, Polen und der CSSR begrüßen, aber niemand dürfe ernsthaft glauben, daß dies eine Alternative hinsichtlich einer EG -Mitgliedschaft darstellen könne.

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