: Ungarn: Geburt einer Partei
■ Über 80 Prozent der Delegierten stimmten der Neugründung der kommunistischen Partei zu / Orthodoxe künden Gründung einer „neuen“ KP an
Budapest (taz/afp) - Als erste kommunistische Partei Osteuropas hat sich am Samstag die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (USAP) mit großer Mehrheit in eine neue sozialistische Partei verwandelt. 80,7 Prozent der 1.256 Delegierten entschieden sich für die Auflösung der USAP und die Gründung einer Ungarischen Sozialistischen Partei. Sie nahmen damit Abschied vom „Staatssozialismus und den Prinzipien des demokratischen Zentralismus“. 159 Parteigenossen, darunter auch Präsidiumsmitglied Karoly Grosz, stimmten gegen den Resolutionsentwurf. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses ertönte minutenlang tosender Beifall. Anschließend sangen die Delegierten im Saal die Nationalhymne. Die historische Entscheidung der Partei war vor allem dank der Hartnäckigkeit der Reformer innerhalb der USAP zustande gekommen. Insbesondere USAP-Präsident Reszö Nyers, Staatsminister Imre Pozsgay, Ministerpräsident Miklos Nemeth und Außenminister Gyula Horn war es in den vergangenen zwei Monaten gelungen, die große Mehrheit der Delegierten auf ihre Seite zu ziehen. In einem Text, der von Nyers vor dem Kongreß verlesen wurde, hieß es, die Geschichte der USAP „als Staatspartei ist beendet. Eine soziale, wirtschaftliche und politische Erneuerung kann nicht ohne die Schaffung einer neuen Partei realisiert werden.“ Die neue Partei versteht sich als politische Kraft der Linken, die jedoch endgültig mit dem Staatssozialismus und der stalinistischen Vergangenheit brechen will. Ihr Ziel ist ein demokratischer und pluralistischer Sozialismus: eine Art Synthese kommunistischer und sozialistischer Werte. Die Regierungsgeschäfte will sie auch in Zukunft führen, doch ist sie für Allianzen mit anderen Linksparteien offen. Im ökonomischen Bereich setzt sie sich für die Marktwirtschaft mit verschiedenen Eigentumsformen ein. Die Partei will der Sozialistischen Internationale beitreten, gleichzeitig aber gute Beziehungen zu den reformbereiten kommunistischen Parteien des Ostblocks aufrechterhalten. Um in die neue Partei aufgenommen zu werden, ist ein neuer Mitgliedschaftsantrag notwendig. Der alten USAP gehörten etwas mehr als 700.000 Mitglieder an, doch werden wohl nicht alle der neuen Partei beitreten. So hat der frühere Parteichef Grosz bereits erklärt, er werde der neuen Partei nicht beitreten. Vertreter des orthodoxen Flügels haben am Wochenende bereits angekündigt, sie würden eine „neue“ kommunistische Partei gründen. Kongreßbericht auf Seite 7
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