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Ungarische Politiker bespitzeltSchlammschlacht nach Abhörskandal

Exagenten des Geheimdienstes schnüffeln Privatleben von Politikern aus. Dabei kommen politische Intrigen ans Licht.

Gab Oppositionsführer Orban oder jemand anders aus seiner Fidesz-Partei die Bespitzelung in Auftrag? Bild: dpa

WIEN taz Die alten Stasi-Schnüffler sind in Ungarn noch immer aktiv. Und sie werden für parteipolitische Intrigen eingesetzt. Das brachte ein Abhörskandal ans Licht, der die kleine oppositionelle Mitte-rechts-Bürgerpartei MDF erschütterte und die größte Oppositionspartei Fidesz schwer belastet.

Mitte September tauchten Tonaufnahmen auf, aus denen hervorging, dass gegen MDF-Chefin Ibolya Dávid eine Intrige gesponnen wurde. Ehemalige Agenten des kommunistischen Staatssicherheitsdienstes, die ihre Erfahrungen in ein privates Sicherheitsunternehmen namens UD Vagyonvédelmi (UD Vermögensschutz) eingebracht haben, schnüffelten im Privatleben der Politikerin herum. Auch Minister der sozialdemokratischen Regierung wurden von ihnen bespitzelt. Geheimdienstminister György Szilvásy sprach von einem "polypenartigen Schattengeheimdienst", der aufgeflogen sei. Die Medien tauften den Skandal "Polypgate". Wie man es aus Spionagethrillern kennt, sollen über die "Zielpersonen" Dossiers angelegt worden sein, die Lebensstil, Wirtschaftskontakte, Bankkonten und Telefonlisten beinhalten. Auch sexuelle Vorlieben wurden ausspioniert und der Haushaltsmüll durchwühlt. Dank guter Verbindungen hackten sich die Spitzel auch in das Computersystem des Nationalen Sicherheitsamts, um an kompromittierende Informationen oder Geschäftsgeheimnisse zu kommen.

Es ist schwer, den Skandal zu verstehen, ohne die politische Polarisierung in Ungarn mitzudenken. An der Demontage der eigenwilligen Politikerin hatte vor allem Oppositionsführer Viktor Orbán Interesse. Das MDF (Magyar Demokráta Fórum) war zwar Teil der konservativen Regierungsallianz unter Orbán (1998-2002), doch anders als die Anführer anderer Kleinparteien hatte Ibolya Dávid die Verschmelzung ihrer Partei mit Fidesz verweigert. Orbán versucht die kleinen Parteien rechts der Mitte aufzusaugen, um nach den Wahlen im nächsten Jahr nicht mehr auf eine Koalition angewiesen zu sein. Es wird vermutet, dass die Verschwörung damit zusammenhängt. Im MDF hatten Orbáns Freunde im Vorfeld der parteiinternen Wahlen den 32-jährigen Kornél Almássy als Gegenkandidaten gegen die seit neun Jahren an der Parteispitze stehende Dávid in Stellung gebracht.

Die ungarischen Medien mutmaßen, dass neben Fidesz auch der Forint-Milliardär Sándor Csányi, Ungarns reichster Oligarch, die Bespitzelung in Auftrag gegeben haben könnte. Denn die größte Bank OTP, deren Generaldirektor er ist, zählt zu den besten Kunden des Schattengeheimdienstes DU. Csányi, der an zahlreichen Unternehmen beteiligt ist, soll politische Ambitionen hegen. Angeblich will er Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány nach den Wahlen 2009 beerben.

"Polypgate" hat inzwischen zahlreiche Opfer gefordert: Allen voran Kornél Almássy, der seine Kandidatur für den Parteivorsitz zurückzog und aus dem MDF ausgeschlossen wurde, als der Skandal aufflog. Zurücktreten musste auch der Fidesz-Abgeordnete Sándor Arnóth, der letzte Woche anlässlich des Berichts des Geheimdienstministeriums im Parlament zornesrot brüllte: "Ihr werdet alle baumeln!" Für Fidesz ist der Skandal eine Erfindung der regierenden Sozialdemokraten, die sich als Opfer inszenieren wollen, da ihnen bei den Wahlen in 2009 eine vernichtende Schlappe droht.

Eindeutige Gewinnerin der Affäre ist Ibolya Dávid, die beim MDF-Parteitag einstimmig wiedergewählt wurde - zum fünften Mal. Mit dem Bonus, den sie als Opfer einer Intrige genießt, könnte es ihr gelingen, das MDF, das in Umfragen unter der Fünfprozenthürde lag, auch nach 2009 im Parlament zu halten.

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