■ Uneinigkeit beherrschte den G-7-Gipfel – ein Fortschritt: Willkommene Politisierung
Endlich wird wieder gestritten auf den hohen Foren der Weltpolitik. Den G-7-Gipfel in Denver und davor bereits den EU-Gipfel in Amsterdam beherrschten nicht mehr hohle Bekenntnisse zur guten Zusammenarbeit, sondern öffentlicher Austausch kontroverser Meinungen. Das G-7-Treffen war Schauplatz einer Konfrontation zweier Lager mit unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Modellen: auf der einen Seite die angelsächsischen Länder USA, Kanada und Großbritannien, die mit einer neoliberalen Politik hohes Wirtschaftswachstum, sinkende Arbeitslosigkeit und steigende Arbeitnehmereinkommen vorweisen können; auf der anderen die kontinentaleuropäischen Mächte Deutschland, Frankreich und Italien, die mit dem Festhalten an sozialstaatlichen Ansprüchen nicht aus der Wirtschaftskrise herausfinden.
Der Zusammenprall dieser zwei Kulturen brachte in Denver eine weitgehende Beschlußunfähigkeit – und zugleich eine höchst willkommene Politisierung. Da prusten US-Kommentatoren angesichts ihrer Wirtschaftsdaten vor Nationalstolz und Missionseifer. Da wird in französischen Medien wieder gegen das „imperiale Amerika“ geschäumt, gegen das ein starkes Europa nötiger sei denn je. Da scheut sich Außenminister Kinkel nicht, US-Vorschläge zur Erleichterung afrikanischer Exporte damit abzutun, Europa habe die besseren Erfahrungen in Afrika – ein starkes Stück nach Kolonialismus und der bis heute andauernden französischen Stützung afrikanischer Diktatoren. Solche lichten Momente bringen verborgene nationale Denkmuster ans Tageslicht. Sie machen die tatsächlichen Ziele der verschiedenen Regierungen transparenter und erleichtern demokratische Kritik.
Damit wird es auch innerhalb der einzelnen Länder wieder einfacher, politische Alternativen herauszubilden und zu diskutieren. Während die USA und Großbritannien durchaus ein wenig mehr Sozialstaat vertragen könnten, täte es einem in die Massenarbeitslosigkeit abgerutschten Deutschland gut, auch die Erfolge des angelsächsischen Modells anzuerkennen. Die krampfhafte Fixierung auf Haushaltsausgleich in den USA, die Klagen über „Einheitsdenken“ in Frankreich, die Hegemonie des Neoliberalismus in Großbritannien, die Fetischisierung des Europagedankens in Deutschland – all diese Dinge versperren gerade in Zeiten notwendiger politischer und wirtschaftlicher Veränderungen zuweilen die Sicht auf das Naheliegende. Dominic Johnson
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