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Und sie singt kein einziges Wort

■ Spröde und diskret ist er, der Kroetzsche „Stallerhof“ im Hebbel-Theater in einer Inszenierung der Berliner Kammeroper

Opernfiguren sind meist Plappermäuler. Sie lieben lange Monologe, wiederholen sich häufig und wissen immer eine Antwort. Kein Wunder, denn schließlich muß gesungen werden.

Die Figuren von Franz Xaver Kroetz sind bitterarm an Worten. Plump hantieren sie mit sprachlichen Versatzstücken; nur mit Sprichwörtern und Klischees können sie ausdrücken, was über die alleralltäglichsten Gespräche hinausgeht. Kroetz' Geschöpfe leben am Rande der Gesellschaft, und je weiter sie abgedrängt werden, desto schwächer ist ihr Zugriff auf die Sprache. Pausen sind vielleicht das Wichtigste in diesen Stücken.

Wie kann man einen Text wie „Stallerhof“ vertonen? Die Schweigsamkeit der Figuren war für den Henze-Schüler Gerd Kühr das größte Problem, als er 1986 mit der Arbeit an der Oper begann. Der Text mußte verlängert werden, ohne die Menschen zu verfälschen. Deshalb wurden eine Introduktion und zwei Intermezzi eingefügt, für die Kroetz Bibelverse aussuchte – die „zwölf Fluchworte“ aus dem 5. Buch Mose, eine besonders finstere und wuchtige Strafandrohung.

Das altertümlich-erhabene Luther-Deutsch setzt einen scharfen Kontrast zu den banalen Dialektwendungen der „Stallerhof“-Bewohner. Auf der einen Seite kirchliche Gebote und dörfliche Ehrbegriffe, auf der anderen der trübe, schmutzige und komplizierte Alltag. Ein Frauenterzett singt die Bibelverse, Posaunenschall unterstreicht die göttliche Autorität. Zart und schwächlich wirken dagegen die Instrumente, die der geistig zurückgebliebenen Bauerntochter Beppi zugeordnet sind: Flöte, Geige und Harfe.

Die Vierzehnjährige ist ein zutiefst einsames Geschöpf, ihre Mutter (Barbara Schramm) vermag Zuneigung nur durch Kommandos und Knüffe auszudrücken, der Vater (Frieder Stricker) redet gar nicht mit ihr. Nur der alte Knecht Sepp (John Sweeney) erzählt Beppi Geschichten und geht mit ihr auf den Jahrmarkt, wo er sie dann hinter einem Zelt vergewaltigt. Doch Beppi ist für jede Form von Nähe dankbar, eine seltsame Liebesbeziehung entwickelt sich zwischen den beiden. Michaela Caspar spielt das fügsame und doch eigenwillige Mädchen unwahrscheinlich gut. Leicht gebeugt, mit hängenden Armen und offenem Mund steht sie da. Geschenke, Liebesbeweise hebt sie dicht an Augen und Ohren. Caspar ist die einzige nichtprofessionelle Sängerin der Aufführung, aber gerade die nur halb geschulte Stimme paßt zu Beppi.

Kührs Musik geht über den brutalen Realismus des Stücks hinaus und beschönigt doch nichts. Melodien bilden sich nur selten heraus, und wenn das Bühnengeschehen musikalisch illustriert wird, bleiben die Klänge spröde und diskret (musikalische Leitung: Brynmor Llewelyn Jones). Auch die Inszenierung der Berliner Kammeroper unter Regie von Kay Kuntze verzichtet auf Wohnküchen-Realismus. Gespielt wird auf einer drehbaren Rampe. Ganz oben leuchten blitzblanke Haushaltsmaschinen, Symbol für die Kälte und Härte der Beziehungen. Wenn die Stallerin Beppis uneheliches Kind abtreiben will, legt sie vorher säuberlich Alufolie unter. Und singt kein einziges Wort. Miriam Hoffmeyer

Heute und morgen (1. und 2. Dezember), jeweils um 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstr.29, Kreuzberg

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