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Archiv-Artikel

Und nun zum Krimi

Die zweitälteste Sendung im deutschen Fernsehen feiert Geburtstag: Vor 50 Jahren lief zum ersten Mal das „Wort zum Sonntag“. Und die Fernsehgemeinde? Bleibt halt dran …

VON JAN FREITAG

Kindheitstraumata haben bekanntlich viele Ursachen: Ohrfeigen, Hygieneexzesse, Fernsehverbote.

Dass jedoch auch Fernsehgebote tiefe Spuren in der Psyche hinterlassen können, zeigt ein Blick auf einen beispielhaften Samstagabend vor, sagen wir, zweieinhalb Jahrzehnten: Die „Tagesschau“ war zwar kryptisch, aber wegen ihrer Kürze erträglich, „Zum Blauen Bock“ war eine Qual – doch dann, so gegen zehn, als der Gruselfilm endlich in greifbare Nähe rückte, hieß es unerbittlich: So, eine Viertelstunde noch, und ab ins Bett! Und was lief da, ausgerechnet da, im Fernsehen? – Das „Wort zum Sonntag“ … Da durfte man am Wochenende einmal länger als bis acht glotzen, und dann das! Was könnte für einen Neunjährigen langweiliger sein?

Allerdings sah und sieht es wohl auch der Rest der Zuschauerschaft nicht anders. Kaum jemand wird sich die kleine Sendung in der Programmzeitschrift angestrichen und seinen Fernsehabend ums „Wort zum Sonntag“ herumgeplant haben, weder damals noch heute, wenn die zweitälteste Sendung im deutschen Fernsehen nach der „Tagesschau“ ihren 50. Geburtstag feiert. Nein, dass das „Wort zum Sonntag“ dem Glaubensverfall, dem Zeitgeist und natürlich auch den Attraktionen der zahllosen Privatsender seit einem halben Jahrhundert trotzen konnte, liegt bestimmt nicht am tiefen Erbauungsbedürfnis der Fernsehgemeinde. Die bleibt halt dran. Bereits zum 25-jährigen Jubiläum 1969 argwöhnte ein Münchner Kirchenrat im Spiegel, dass von den damals bis zu 15 Millionen Zuschauern viele in Vorbereitung auf den Western schlicht den Ton abdrehen würden. Und ein anderer Geistlicher fügte anonym hinzu: „In der heutigen Welt dürfte es kaum ein besseres Mittel geben, den Menschen die scheinbare Eintönigkeit des Christentums erfolgreicher vor Augen zu führen.“

Selten gelobt, viel gesehen

Dass die Sendung dennoch läuft und läuft, liegt nicht zuletzt am Rundfunkstaatsvertrag (siehe Kasten), der unter anderem den beiden großen christlichen Kirchen besondere Privilegien bei öffentlich-rechtlichen und privaten Programmanbietern einräumt und die Grundversorgung mit Erbaulichem sichert: Derzeit gibt es im deutschen Fernsehen insgesamt 24 regelmäßige Religionsformate auf 18 Kanälen – vom „Film Tipp“ auf Pro7 über den „Bibel-clip“ (RTL) oder „So gesehen“ (Sat.1) bis zu den sonntäglichen Gottesdienst-Übertragungen in ARD und ZDF – und eben dem guten alten „Wort zum Sonntag“. „Es ist“, so mutmaßte David Hober, Rundfunkreferatsleiter der Bischofskonferenz, kürzlich im Deutschlandradio, „eine Sendung, die selten gelobt wird, aber sie wird öfter gesehen als zugegeben“ – tatsächlich von immerhin durchschnittlich noch 1,8 Millionen Menschen nämlich und eher von Protestanten als von Katholiken. Und das ist, obwohl die Quotenkurve zwischen Primetime und Spätfilm regelmäßig einknickt, ein passabler Wert – selbst wenn er sich mit trägem Dranbleiben oder „Audience-Flow“ (wie’s der Experte nennt) erklärt.

Eigentlich sollte die TV-Andacht 1954 nicht erst am 8. Mai, sondern bereits eine Woche vorher, am Tag der Arbeit, erstmals laufen. Doch ein Kabelbruch beim NWDR ließ die Premiere platzen und setzte die Mär von einer katholischen Sabotage in die Welt. Das passte ins Bild, denn knapp ein Jahr zuvor hatten besonders konservative Kirchenkreise erbittert gegen die erste Liveübertragung einer heiligen Messe gekämpft – da lag der Verdacht nahe, auch die Telepredigt könnte aus frommer Sicht den Gottesdienst entweihen. „Quatsch“, meint dazu Uwe Michelsen, der das „Wort“ seit 25 Jahren beim NDR betreut, „beide Kirchen waren treibende Kräfte der Sendung“.

Womöglich weil die Gefahr, gesehen zu werden, vergleichsweise gering war, weil damals in den 50ern nur einige zehntausend Apparate in deutschen Stuben standen. „Das ‚Wort zum Sonntag‘ wurde eigentlich für niemanden produziert“, sagt Michelsen und nennt es lästerlich „ein Medium für Verrückte“. Im Wechsel hievten die kirchlichen Gremien der Sendeanstalten bislang 152 katholische und 142 protestantische Prediger vor die Kamera – religiös gefestigt, aber allzu oft totale Bildschirmnieten. Mit der Zeit erweiterte sich zwar der Kreis um Alltagschristen, Nonnen, Religionslehrer, Kardinäle, Jürgen Fliege und sogar den Papst. Und nicht zuletzt seit die Kommerzsender alte Sehgewohnheiten durcheinander wirbeln und die samstäglichen TV-Strukturen nicht mehr so fest gefügt sind wie die Drehknöpfe am Apparat, wurde die Sendezeit von anfangs 10 auf 5 auf 3,5 Minuten abgekürzt – und das Wort verkündet von einer achtköpfigen, modernen, telegenen Schar konfessionsparitätisch besetzter Sprecher. Doch der Spott vom bewegungsresistenten „Hörfunk mit Passbild“, bei dem „selbst Gott einschläft“, hält sich beharrlich.

„Quotenkiller und Störfaktor“

„Das ‚Wort‘ ist ein Quotenkiller, ein Störfaktor, Stillstand. Es widerspricht allen Regeln des Fernsehens und fällt völlig aus dem Rahmen.“ Wer dies sagt, ist keine BWL-geschulte Programmmanagerin, die Platz und Geld lieber auf Millionenshows und Hollywoodballereien verwenden würde. Es ist Mechthild Werner, 42, Protestantin und seit fünf Jahren Sprecherin. „Ich selbst kenne es ja auch nur als langweilig“, erinnert sie sich an ihre Zeit als Konsumentin. „Aber letztlich kommt es ja auch auf uns an, wie wir rüberkommen.“

Damit Ikonen wie die Lübecker Nonne Isa Vermehren, die in den 80ern mit ihrer beherzten Art verzückte, kein Zufall bleiben, werden die je vier Sprecherinnen und Sprecher seit der Reform 1999 regelrecht gecastet. Per Videotraining stylen Experten die Medienlaien auf gemeinsamen Schulungen zu Profis. „Ein Riesenfortschritt“, sagt Teilnehmerin Werner. Ansonsten sei es schwierig, bilderfreudige Katholiken, wortlastige Protestanten, dogmatische Kirchenfunktionäre und Sender, die stets auf die Quote schielen, unter einen Hut zu bringen. „Ein Problem der Ökumene“, meint sie. Nicht der Arbeitsabläufe.

Doch die sind ohnehin strikt getrennt. Die Kirchen selbst verantworten ihre TV-Predigten – und lassen sich weder vom produzierenden Sender noch von der interreligiösen Konkurrenz dreinreden. Was der BR in München freitags aufzeichnet, hat mit der Version des NDR im Zweifel so viel zu tun wie Kegeln mit Bowling. Und doch haben der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, und Bischof Wolfgang Huber, Chef der Evangelischen Kirche in Deutschland, am Donnerstag auf der Jubiläumsgala in Hamburg Modernisierungswillen bekundet und Flexibilität beteuert.

Heute spricht der Sympath

Schließlich sind die Zeiten händefaltender Prälaten zwischen Kreuz und Kerze passé. Längst regiert das Drehbuch, ergebnisoffen bis zur Livevariante. Bereits am 15. Oktober 1977 nach der Flugzeugentführung von Mogadischu verzichtete der evangelische Pfarrer Jörn Zink auf seinen vorformulierten Text und predigte spontan, nach dem Oktoberfest-Attentat von 1980 zeigte man statt der vorproduzierten Konserve eine spontane Reaktion. Und auch Terroranschläge wie in Moskau oder Madrid fanden auf die Schnelle Berücksichtigung. Zudem wird das „Wort“ gelegentlich von einer Autobahnbrücke, aus dem Parlament, aus einem Bahnhof, einem Einkaufszentren oder einem Kreißsaal verkündet. Und zum Grand Prix Eurovision sendet der NDR aus Hamburg live von der Reeperbahn.

Man dürfe nur die Worte nicht unter den Bildern begraben, fordert Stephan Wahl, der heute Abend die Jubiläumsansprache hält. Der katholische Pfarrer ist der Prototyp des Sprechers von heute: Mitte 40, Publizist, Medienprofi, Sympath. Er will zur Auseinandersetzung anregen, Ideen in die Diskussion werfen, Gutes tun und vor allem eines: „Hoffentlich niemanden einschlafen lassen“. Am besten mit Ton.