■ Bestseller: Und läuft und läuft
Seit 21 Jahren wölben sich die Tränensäcke von Inspektor Derrick formschön über den bundesdeutschen Fernsehschirm. Aber auch jenseits der innerdeutschen Ermittlungsgrenzen macht Derrick Furore. Der weltweite kommerzielle Erfolg der ZDF-Serie gibt kriminalistische Rätsel auf. Ist es die „Menschlichkeit“, die Derrick-Darsteller Horst Tappert anläßlich eines Interviews mit der Prawda im Mai 1990 selbst hervorhob? In seiner langjährigen Berufserfahrung habe der Kriminalist gelernt, „sogar mit einem Verbrecher wie mit einem Menschen umzugehen“. Deshalb verspürt der Polizist nach der Lösung eines Falles „niemals Triumph“, ist vielmehr „innerlich leer, betrübt darüber, daß das Leben und die Menschen von solchen Dingen wie Mord nicht frei sind“. So viele staatstragende Tugenden auf dem Fernsehschirm beeindrucken selbst Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich „Derrick“ wann immer er kann in der Fernsehzeitung vormerkt: „Ich bin ein ausgesprochener Fan.“
Laut Produzent Helmut Ringelmann hat „Derrick“ „das Bild des Deutschen im Ausland für 100 Millionen Menschen ins Positive korrigiert“. Wahrscheinlich weil das arrogante Volk der Dichter und Denker sich in der Person Derricks („Harry, hol schon mal den Wagen“) plötzlich verständlicher ausdrückt als Martin Heidegger.
Wie auch immer. Waren die Germanen vor „Derrick“ sauerkrautfressende Wirtschaftswunderlinge mit guten Fußballern und einer Roten Armee Fraktion, so spazieren wir Deutschen jetzt jedenfalls – friedfertig und von Reichtum und Eleganz völlig unbeeindruckt – durch Münchner Vorortvillen und treiben mit trüben Beamtenaugen und zäher Beharrlichkeit das Böse in die Enge.
Es ist nicht uninteressant, daß dieses positive Derrick- Bild des Deutschen im Ausland ausgerechnet aus der Feder eines Autoren stammt, Herbert Reinecker nämlich, der mit einschlägigen Frühwerken wie „Panzermänner erzählen vom Feldzug in Polen“ (1939), dem Blut-und-Boden-Drama „Das Dorf bei Odessa“ (1940) und Artikeln wie „Der Führerglaube der jungen Soldaten“ (Völkischer Beobachter, 17.12.1944) ein etwas anderes Bild des Deutschen im Ausland vermittelte.
Aber zum Glück ist Unterhaltung ja unpolitisch.Manfred Riepe
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