Und immer wieder Pause: Brandenburg in Tortenstücken
Anders als die Tour de France ist die 1.111 Kilometer lange Tour Brandenburg nicht als sportliche Herausforderung gedacht, sondern als eine gute Art, Land und Leute kennenzulernen. Ein Rundkurs: Man kann an jeder Stelle ein- und aussteigen
Kennzeichen ist ein roter Adler auf weißem Grund. Viele Etappenziele sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln, vor allem dem Regionalexpress, erreichbar (www.bahn.de). Auch wenn die Strecke gut gekennzeichnet ist, empfiehlt sich eine zusätzliche Karte. Am besten fährt man mit dem bikeline-Radtourenbuch "Tour Brandenburg" vom Verlag Elsterbauer, das genaue Karten, detaillierte Streckenbeschreibungen und Tipps zum Übernachten, Essen und Trinken enthält und 12,90 Euro kostet.
Bei der Planung hilft die Internetseite www.tour-brandenburg.de mit einschlägigen Informationen zu Unterkünften, Restaurants, Bahnanschlüssen usw.
Ebenso die Internetseite www.radeln-in-brandenburg.de.
Weitere Informationen zu Brandenburg gibt es bei der Tourismus Marketing Brandenburg (TMB) in Potsdam, Tel. (03 31) 2 98 73-0, www.reiseland-brandenburg.de
Wie könnte wohl ein Ort namens Kirchmöser aussehen? Ein Dorf mit einer mehr oder weniger großen Kirche? Die gibt es dort tatsächlich. Aber sie spielt nur eine Nebenrolle in der Zwanzigerjahresiedlung südwestlich von Brandenburg an der Havel. Stattdessen fällt als Erstes der Wasserturm ins Auge: 65 Meter hoch, eine kühne Stahlkonstruktion, die einen riesigen runden Wasserbehälter trägt und von einer dicken Mauer umzingelt ist. "Er entstand um 1915 zusammen mit dem ehemaligen Pulverwerk, um im Fall eines Brands das ganze Gelände fluten zu können", erklärt uns einer der ABM-Mitarbeiter des Projekts "Industrielehrpfad Kirchmöser", der uns auf den Turm führt. Oben angekommen blicken wir auf Industriebauten aus rotem Backstein, die zum Teil von dichtem Grün überwuchert sind, in der Ferne Seen und Wälder. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde in dem Fischerdorf Kirchmöser ein Pulverpresswerk gebaut, später gesellten sich eine chemische Versuchsanstalt, ein Lokomotiv- und Panzerwerk hinzu. Inzwischen weist ein Lehrpfad durch den Industriestandort.
Dabei zeigt sich, dass Kirchmöser auch beliebtes Wohngebiet ist. Geradezu idyllisch wirken die achtzig Jahre alten Werkssiedlungen. Farbig gestrichene Häuschen mit Gärten, in der Mitte ein Marktplatz, Offiziersvillen am Wasser und irgendwo auch ein Kirchlein. Kirchmöser ist ein gelungenes Beispiel für die Symbiose aus Industriearchitektur, Wohnen und Wasserlandschaft - und eine wirkliche Entdeckung. Wir haben sie der "Tour Brandenburg" zu verdanken, dem neuen Radfernweg, der auf 1.111 Kilometern Berlin umkreist. Als einer der längsten Radwege Deutschlands ist er keineswegs nur sportliche Herausforderung. Vielmehr eine gute Möglichkeit, Bekanntschaft mit dem Land zwischen Uckermark und Niederlausitz zu machen. Mit seinen Naturparks, Biosphärenreservaten, unzähligen Seen und Flüssen, aber auch mit Schlössern, alten Städtchen und natürlich den dort lebenden Menschen. Das tausendjährige Jüterbog liegt an der Strecke, Kloster Heiligengrabe in der Prignitz, Perlen wie Rheinsberg, der Fürst-Pückler-Park Branitz, aber auch weniger klingende Namen wie Fürstenwalde und Pritzwalk. Oder eben Kirchmöser. Den rund 57 Kilometer langen Teilabschnitt der Tour von Brandenburg an der Havel nach Rathenow hatten wir uns als Startpunkt ausgesucht, weil er an sieben Seen vorbeiführt.
Am Wasser macht das Radeln besonderen Spaß - das beweisen die unzähligen Flussradwege an Donau, Oder-Neiße oder Elbe. Also starten wir in Brandenburg an der Havel, fahren vom Bahnhof aus durch Vororte, Kleingartenkolonien und Kiefernwälder, bis zwischen den Bäumen das erste Gewässer aufblitzt: Der Breitlingsee ist Teil der Seenkette, die über die Niedere Havel mit Brandenburg verbunden ist, wie der Mösersche, der Plauer und der Quenzsee. Neben dem Radweg liegt ein Stück Strand, dahinter sind ein paar kleine Inseln, ansonsten säumen Bootshäfen, Kanuvereine und Ausflugslokale das Ufer. Und dann tauchen plötzlich die Schornsteine von Kirchmöser auf.
Das Fischrestaurant "Am Seegarten" lockt mit köstlichen Lachsforellen, und im Nachbarort Plaue müssen wir schon wieder eine Pause einlegen, um uns das Plauer Schloss anzugucken. Ein stolzer Barockbau am gleichnamigen See, den der preußische Minister Friedrich von Görne im 18. Jahrhundert bauen ließ. Aber noch sind die Fassaden grau, Fenster und Türen verrammelt - es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ein Schlosshotel daraus wird.
Weiter geht es über die alte Plauer Brücke Richtung Briest. Vor uns liegen jetzt noch Pritzerbe, Bahnitz, Milow, Premnitz und Rathenow. Ob wir da jemals ankommen? Es sind gerade mal 35 Kilometer. Aber wenn wir in demselben Tempo weiterfahren, ist es nicht zu schaffen. Für die Tour Brandenburg braucht man Zeit. Die Strecke ist voller Entdeckungen und viel zu schade, um nur Kilometer runterzureißen. Schließlich wurde der Rundkurs so angelegt, dass er vierzehn historische Stadtkerne und so manchen anderen Ort passiert, der ein bisschen mehr Leben gut vertragen kann.
Insgesamt sind es fünfzehn Etappen, die zwischen 55 und hundert Kilometern lang sind. Erkennbar sind sie am etwas unscheinbaren Logo der Tour, dem roten Brandenburger Adler auf weißem Grund. Meist besteht die Strecke aus bequemen, zwei bis drei Meter breiten, asphaltierten Wegen, nur manchmal geht es über holperiges Kopfsteinpflaster. Zum Teil wurden auch einfach nur bereits bestehende Wege wie der Spreeradweg, der Havellandradweg oder der Radweg Berlin-Kopenhagen miteinander vernetzt. Trotzdem ist die Tour Brandenburg das i-Tüpfelchen auf dem bestens ausgebauten Radwegenetz im Bundesland. Das Gute ist vor allem, dass sie ein Rundkurs ist. Man kann sich immer ein beliebiges Tortenstückchen aussuchen und an jeder beliebigen Stelle ein- und wieder aussteigen.
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