■ Rache ist Blutwurst: Der letzte Wille eines Bauern: Und die Kuh bleibt stehen!
Essen (taz) – Daß jemand Hab und Gut dem Staat vermacht, kommt in Nordrhein-Westfalen nur alle zehn Jahre vor. Das dürfte die Beamten des Bundesvermögensamtes von Herzen freuen. Denn sie haben das Vermächtnis des Hugo Karrenberg am Hals.
Hugo Karrenberg war Bauer und das, was man einen komischen Kauz nennt. Er besaß 34 Hektar Land in Essen, einen stillgelegten Bahnhof und eine Villa, leistete sich aber keine Heizung. Er mißtraute den Menschen, ging aber zu Nachbarn fernsehen – aus Sparsamkeit. Weil Papa es verbot, heiratete Hugo nie. Als er mit 99 Jahren starb, hatte er mit fast allen Autoritäten im Vorort Essen-Kettwig irgendwann einmal Streit gehabt.
Seit drei Jahren ist Hugo Karrenberg tot. Doch noch immer geschieht auf seinem ehemaligen Besitz nichts gegen seinen Willen. Dafür hat der juristisch beschlagene Bauer zu Lebzeiten gesorgt. In einem mit komplizierten Klauseln gespickten Testament vermachte er alles dem Staat.
Seither verwaltet die Düsseldorfer Dienststelle des Bundesvermögensamtes den Nachlaß. Der Fall entwickelte sich zu einer begrüßenswerten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Dienststellenleiter Hubert Hoppe brütete über den „atypischen, komplizierten Details des Testaments“, um überhaupt „herauszufinden: Was ist der Wille des Erblassers genau?“ Juristen paukten vor dem Landgericht den Erbanspruch des Staates durch – gegen Einsprüche entfernter Verwandter Karrenbergs. Gutachter versuchten bei 2 Ortsterminen, sich einen Überblick über den Umfang des Erbes zu verschaffen. Ein Förster gab Auskunft über das Grünzeug des Erblassers. Sachbearbeiter bearbeiteten die Sache.
Auf dem Kernstück des Geländes, dem „Karrenbergsfeld“, möchte die Stadt Essen seit den 70er Jahren ein Gewerbegebiet errichten. Der Bauer hat sich zeitlebens dagegen gewehrt – Kühe, nicht Betriebe sollten auf der Wiese stehen. Testamentarisch legte der älteste Einwohner Essen- Kettwigs fest, daß alles bleiben solle wie gehabt: kein Gewerbegebiet, Wohn- und Nutzungsrechte für drei Nachbarn. Außerdem möge der Bund, bitte schön, eine Weide aufforsten. Etwa eine Million Mark würde den Staat das kosten, aber das Geld für die Setzlinge dürfe keinesfalls der Erbmasse entnommen werden.
Als hätte die Verwaltung damit noch nicht genug Probleme, setzte die Düsseldorfer Bezirksregierung noch eins drauf: Sie stellte Karrenbergs wurmstichige, 130 Jahre alte Villa unter Denkmalschutz; für eine Instandsetzung müßte der Bund noch eine Million aufbringen, für die Restaurierung eine weitere.
Immerhin, die schöne alte Inneneinrichtung der 300-Quadratmeter-Villa hat sich das Bundesvermögensamt gesichert, um sie zu Geld zu machen. Nur einige „besonders schwer zu transportierende Möbel“ und ein Kristallüster blieben zurück. Die haben sich nun bei einem Einbruch Diebe geholt, die offenbar weniger Transportprobleme hatten als das Amt.
Ärger, nichts als Ärger mit dem Erbe. Hugo Karrenberg scheint genau das gewollt zu haben. In Essen-Kettwig erzählt man sich, der Alte sei vor Jahrzehnten enteignet worden: Der Staat habe ihm eines seiner Grundstücke weggenommen, um darauf Wohnungen für britische Soldaten zu bauen – so was tut man einem an seiner Scholle klebenden Bauern nicht an. Nun habe der alte Fuchs späte Rache genommen.
Doch man hätte es ahnen können im Bundesvermögensamt. Ein Blick auf das Todesdatum des Erblassers hätte die Beamten warnen müssen, das Erbe anzutreten: Hugo Karrenberg starb am 1. April. Patrick Bierther
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