Unbeliebt: Der Bassist
Name? Aussehen? Das Tolle an Ulrich Deppendorf von der ARD ist, dass er kein Star ist. Dafür aber der letzte Vertreter der alten Rock'n'roller vom WDR.
D er Chefredakteur Ulrich Deppendorf hat einen schwierigen Namen. Jeden Freitagabend, wenn in der ARD der "Bericht aus Berlin" anfängt, wird er eingeblendet und - das muss man wohl realistisch betrachten - Millionen Zuschauerhirne lassen die mittlere Silbe weg und vertauschen die beiden restlichen.
In der ARD ist das Spiel manchen schon etwas zu langweilig, warum sonst wäre irgendwann der Begriff "Happy Deppi" ersonnen worden. Deppendorf selbst sagt jedenfalls: "Wenn Sie so einen Namen haben, müssen Sie damit leben."
Wir sitzen im vierten Stock des ARD-Hauptstadtstudios, Blick auf die Spree, später Mittwochvormittag. Er füllt das Chefbüro, tiefe Stimme, 1,91 Meter. Doch er spielt seine Größe nie aus. Im Gegenteil: Wenn er sich setzt, kauert er sich in eine freundliche Bescheidenheit, die im Fernsehen nicht gerade epidemisch ist. Warum bloß ist er so wenig beliebt? Es ist ja nicht nur der Name. In einem Roman, der in der ARD spielt, wurde eine Figur, die ihm ähnelt, wegen ihrer Zahnlücke verulkt. Und in der Hitliste der be-liebtesten TV-Nasen Deutschlands wird er prinzipiell ignoriert.
Der Autor leitet die sonntaz. Seine Kolumne über den Politikbetrieb behandelt das Spezialgebiet "Unbeliebt.
Deppendorf gehört zum Inventar der Hauptstadt, ist das ewige Gegenüber der Kanzlerin. Atom, Streithähne, Euro: Am Ende sitzt Merkel vor diesem Mann. Vielleicht ist ihm das selbst ein wenig fad, gerade kommt er vom CDU-Parteitag und sagt, spannend sei gewesen, dass ein Mann ihm Grüße einer früheren Nachbarin aus Dinslaken ausrichtete.
Aber er ist eben nicht nur einfach da. Er hebt sich ab, weil er kein aufdringlicher Fernsehexperte für Terror oder Umfragen ist. Weil er nicht so frisch aussieht wie diese Frauen mit Namen wie Marietta oder Maybrit. Und er ist auch nicht so kuschelig wie der Kausch vom MDR.
Diese Kolumne und viele weitere interessante Artikel lesen Sie in der sonntaz vom 19. und 20. November 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Deppendorf hat 1976 beim WDR die Redakteursausbildung absolviert. Er stieg rasch auf, es war die Zeit von Friedrich Nowottny, von Gerd Ruge und Fritz Pleitgen. Er baute die bissige Sendung "ZAK" mit auf, später schickte Pleitgen ihn nach Berlin, um das neue Studio in der Hauptstadt zu leiten.
Links neben seinem Schreibtisch lehnt ein Schild, auf dem "Freiheit, Freibier und Frieden" steht. Er hat es im Dezember 1989 in Dresden aufgelesen, nachdem Kohl seine Rede vor den Trümmern der Frauenkirche hielt. Das Schild hat er nach Köln mitgenommen, nach Hamburg und Berlin, es verbindet ihn mit der alten Zeit.
Nowottny, Ruge und Pleitgen gehörten zu den Letzten, die für den Nachkriegs-WDR stehen, der von der BBC abstammt und diese insgeheim überholen wollte. Sie waren, den Begriff kann man sich ruhig mal ausleihen, die letzten Rock-n-Roller der ARD.
Rockt Deppendorf? Er erlebt keine Abenteuer am Baikalsee, und zum Intendanten hat er es auch nicht gebracht. Einmal kandidierte er als Intendant beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, es ging schrecklich schief.
Aber vor der Kamera in wichtigen Momenten die Bedeutung eines Ereignisses zu transportieren, ohne sich aufzuspielen, das kann er schon wie die Alten. Als die Präsidentenwahl Wulff gegen Gauck 2010 zum Krimi wurde, entschloss er sich, das Programm umzukippen, zehn Stunden übertrug die ARD live, trotz Bürokratie, trotz Vorabend, trotz Quotenangst. "Zehn Stunden und neun Minuten", sagt Deppendorf und sieht glücklich aus.
Die alte Band spielt nicht mehr. Aber ein Bassist, 61 Jahre alt, ist geblieben. Ein wenig einsam und monoton. Aber Rock.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins