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Unbekannte Orte (7)Das Haus mit dem dialogischen Konzept

Das Jüdische Museum - Millionen Touristen waren schon drin. Millionen Berliner noch nie. Einer der standhaften Ignoranten gibt nach. Für die taz geht er durch die Sicherheitsschleuse und führt ausschweifende Dialoge.

Hier gibt es viel zu bereden: Das Jüdische Museum in Berlin Bild: AP

Bin ich ein Berlinmuffel? Ich war noch nicht auf der Reichstagskuppel, der Siegessäule und im Museum am Checkpoint Charlie. Im Jüdischen Museum war ich auch noch nicht. Aber das ist nicht meine Schuld. Immer, wenn ich Besuch bekam, wollte ich mit dem Besuch ins Jüdische Museum. Blöd nur, dass der Besuch längst dort gewesen ist.

Jüdisches Musuem

Das sagt "belin.de": "Genial ist die Anordnung der Innenräume. Nirgendwo gibt es eine klare Struktur, leere Betonschächte stehen im Gebäude wie sperrige Barrieren. Diese "voids" erinnern an die brutale Vernichtung der Juden während der NS-Diktatur."

Das sagt der "Lonely Planet": "Das Jüdische Museum ist das größte seiner Art in Euorpa und zählt zu den Top-Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die faszinierende, multimediale Ausstellung bietet Hörstationen, Videos, in Schubladen ,versteckte' Dokumente und mehr."

Öffnungszeiten: täglich von 10 bis 20 Uhr, Montags bis 22 Uhr. An Jüdischen Feiertagen geschlossen. Eintritt: 5 bzw. 2,50 Euro. Familien: 10 Euro.

Nächsten Dienstag: Sakia Vogel über den Fernsehturm

So hätte das weitergehen können, wenn nicht die taz mit der Sommerserie "Unbekannte Orte" begonnen hätte. Da gestand ich: Ich bin ein Berlin-Muffel.

Und dann dieses. Kaum habe ich die Sicherheitsschleuse hinter und den 5-Euro-Schein vor mir, fragt die Ticketverkäuferin: "Where do you come from?"

Ich: "Äh, von Berlin."

"Oh, from Berlin." Sie lächelt, immerhin. "Und was ist ihre Postleitzahl?"

Verdammt. Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. "Ich bin gerade umgezogen, darf ich Ihnen meine alte nennen?"

Von wegen Berlinmuffel, denke ich, Berliner kommen hier gar nicht vor. Eines aber muss man den Museumsleuten lassen: Sie wissen, was ein dialogisches Konzept ist.

Ganz besonders kommt dieses Konzept dort zum Tragen, wo man die Eintrittskarte vorweisen muss.

"Please leave your bag at the coat rack", sagt die Kontrolleurin.

"Wo bitte?"

"Sie müssen ihren Rucksack an der Garderobe abgeben, er ist zu groß."

"Ich gebe aber meinen Laptop, den ich im Rucksack habe, nicht an der Garderobe ab. Außerdem hat der Herr an der Sicherheitsschleuse gesagt, der darf mit rein."

"Was hier mit rein darf, entscheide ich."

"Wer sind Sie überhaupt?"

"Jana Braun."

"Aha, Braun, Jana Braun, Sie also entscheiden, dass der Laptop nicht mit rein darf."

"So ist es."

"Kommen Sie denn auch dafür auf, wenn er an der Garderobe wegkommt?"

"Das ist nicht meine Aufgabe."

"Was ist denn Ihre Aufgabe?"

Aber die Frage kann ich mir selbst beantworten. Also gebe ich den Rucksack an der Garderobe ab, klemme mir den Laptop untern Arm und unterdrücke beim zweiten Anlauf die Bemerkung, wie denn Jana Braun diesmal entscheide?

Bin ich ein Berlinmuffel? Bis zu diesem Augenblick hätte ich umkehren können. Hätte in der Redaktion abwechselnd auf Jana Braun und den Laptop hinweisen können, vielleicht hätten wir auch das Mauermuseum am Checkpoint Charlie vorgezogen. Aber da war ich schon zu stolz. Nicht mit mir. "Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht", lässt die Bild-Zeitung Alice Schwarzer verkünden. Ich sage: Jeder Berlinmuffel braucht eine Epoche, in der er das Unaufschiebbare wagt. Meine Zeit war gekommen. Ich gehe ins Jüdische Museum.

An dieser Stelle fällt es naturgemäß schwer, eine Überleitung zu finden. Dies zumal ich nicht in eine Comicausstellung gehe und auch nicht zu den schönen Französinnen, die aus Amerika kommen. Was also tun? Beschreiben, was ich wie gesehen habe und was nicht? Das geschätzte Publikum langweilen mit Auslassungen über die Kompatibilität des Libeskindbaus mit einer Rezension der Dauerausstellung? Zum Ausdruck bringen, was es bedeutet, wenn im Erdgeschoss die Pfade des Exils und des Holocaust enden, der der Kontinuität aber hinaufführt zur Ausstellung "Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte"? Keine Meinung gehabt zu haben zu Fassbinders Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" und mich gefreut zu haben, dass mir auch keine aufgedrängt wurde? Dass stattdessen auf dem Bildschirm die "Hessen-Rundschau" jenes Abends lief, an dem die Aufführung des Fassbinder-Stücks von der Jüdischen Gemeinde verhindert wurde. Vielleicht sollte ich einfach sagen: Ich bin begeistert. Eine solche Ausstellung habe ich sowohl inhaltlich als auch didaktisch noch nicht gesehen?

Am besten, wir machen das wieder dialogisch. Stellen wir uns also vor, am Eingang, der auch der Ausgang ist, steht immer noch Jana Braun: "Und, wie gehts sich so mit Laptop durch die Ausstellung?"

"Gut. Und wie hätten Sie abgestimmt?"

"Abgestimmt?"

"An einem der Computerterminals gibts die Umfrage: Sollen alle, die heute in diesem Land geboren werden, die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen?"

"Ja."

"Hab ich auch gedrückt, so wie zwei Drittel der Museumsbesucher."

"Viele Amis hier, was?"

"Und die Türkei?"

"Türkei?"

"Darf die rein in die EU."

"Ist ja kein Rucksack mit Laptop."

"Also nicht an der Garderobe abgeben?"

Jana Braun lacht. Ich lache nicht, ich bin irritiert. Hoffentlich kommt bald wieder Besuch, bei dem ich Berlinmuffel mich über diese Ausstellung unterhalten kann.

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