piwik no script img

Archiv-Artikel

Unbehagen bei den Praktikern

Mitarbeiter der Jugendämter klagen über schlechte Bedingungen und den hohen Erwartungsdruck der Politik. Und nimmt auch die Zahl der Fälle zu: Mehr Stellen gibt es für die Sozialen Dienste nicht

VON KAIJA KUTTER

„Kindeswohl weiter gefährdet“, stand auf dem Plakat, mit dem mehrere Mitarbeiter der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) gestern vor die Presse traten. Zuvor waren sie zu einer Personalversammlung im Gewerkschaftshaus zusammengekommen. Anlass war der Abschlussbericht einer Arbeitsgruppe, die unter Führung der Finanzbehörde prüfen sollte, ob sich mit 270 Mitarbeitern der Kinderschutz für die Millionenstadt Hamburg gewährleisten lässt.

„Mehr Personal gibt es nicht“, zitierte Personalrat Hans-Jürgen Meyer den Staatsrat der Finanzbehörde, Detlef Gottschalk. „Er sagt, das würde die Probleme nicht lösen.“ Die Gewerkschaft ver.di und die ASD-Mitarbeiter sind anderer Meinung: 45 bis 55 Sozialarbeiterstellen sowie zwölf bis 15 Verwaltungskräfte müssten auf die derzeitige Personaldecke drauf, schätzt ver.di-Sekretärin Sieglinde Frieß. Sie moniert, dass es für die ASD bis heute keine „Personalbemessung“ gebe. Diese klärt, wie viele Fälle ein Mitarbeiter bearbeiten kann. Das habe die Gottschalk-Arbeitsgruppe ausgespart, kritisierte Frieß. Dem Senat unterstellte sie, „dass er gehofft hat, ein Jahr nach dem Tod der kleinen Jessica hat sich die Debatte um Kinderschutz beruhigt“.

Es ist nicht so, dass der Senat gar nichts getan hätte: Auf Weisung von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) wurde eine siebenköpfige „Task-Force“ an die sieben ASD in den Bezirken angedockt. Und befristet auf zwei Jahre werden insgesamt zehn Mitarbeiter aus anderen städtischen Stellen dorthin ausgeliehen.

Zudem ist den Bezirken erlaubt worden, nur für die ASD den allgemeinen städtischen Einstellungsstopp zu durchbrechen und rund 20 Stellen wieder zu besetzen. Mit 280 Stellen seien „so viele sozialpädagogische Fachkräfte vor Ort wie seit Jahren nicht“, so Sebastian Panknin, Sprecher der Finanzbehörde. Jedoch decken diese zusätzlichen Mitarbeiter Frieß zufolge „nur ab, was seit dem Fall Jessica an Mehrarbeit durch neue Fälle und Formalien hinzukam“.

Bei den rund 30 ASD-Mitarbeitern, die sich gestern nur anonym äußerten, macht sich noch weiteres Unbehagen breit. „Die Task-Force rettet keine Kinder. Sie knebelt uns, uns nur noch auf Fälle von Kindeswohlgefährdung zu konzentrieren“, sagte ein Mitarbeiter. „Ich arbeite in einem sozialen Brennpunkt“, ergänzte eine Kollegin. „Wenn Eltern bei mir eine Erziehungshilfe beantragen, kommen sie ein Vierteljahr auf die Warteliste.“ Auch die Beratung in Trennungs- und Scheidungsfällen bleibe liegen, weil es viel Zeit beanspruche, die Meldungen über Kindeswohlgefährdungen abzuarbeiten, die bei der seit Dezember geschalteten Hotline eingehen. Da seien „auch Denunziationen bei“. „Wir gehen los und kontrollieren Familien, die normalerweise mit dem Jugendamt nichts zu tun haben, und die bleiben in der Datei.“ Von 100 Meldungen seien zehn relevant und zwei so ernst, „dass man sofort etwas tun muss“, sagte eine ASD-Mitarbeiterin. Aber es werde immer Fälle geben, „wo wir nichts wissen“.

„Ich möchte mich in meinem Stadtteil bewegen, ohne dass die Leute Angst vor mir haben“, forderte ein Kollege. „Wir brauchen Zeit und Vertrauen, das ist ein fachliches Anliegen.“ Er fürchtet, dass die Erwartungen der Politik an die Jugendämter zu hoch sind. Für Schlagzeilen sorgte jüngst der Fall der vierjährigen Lea, die mit ihrer Mutter in einer vermüllten Wohnung in Wilhelmsburg lebte. „Um in all solchen Fällen das Kind sofort aus der Familie zu nehmen“, sagte Gewerkschafterin Frieß, „ist das Geld gar nicht da.“