Berliner Tagebuch: Unangemeldet
■ Berlin vor der Befreiung: 10. März 1945
Foto: J. Chaldej/Voller Ernst
In Zehlendorf kehren die „Besenmädchen“. Mischlinge von Geburt. Geprüft durch Schicksal. Sie kehren die Straßen. Zehn Stunden am Tage. Manchmal auch elf. „Es ist nicht ganz einfach“, sagt Ursel Reuber. „Weil die Besen so schwer sind. Und auch sonst... Man ist es doch nicht gewohnt.“ Ein bißchen müde, ein bißchen niedergeschlagen sitzt sie in unserer Mitte. „Übrigens – was ich noch sagen wollte“, ihre Stimme hebt sich ein wenig, „ich habe Einquartierung bekommen. Eva Gerichter. Mischling – wie ich. Sie sollte nach Theresienstadt, weil sie ihres jüdischen Glaubens wegen zu den Geltungsjuden zählt. Da hab' ich sie aufgenommen. Als U-Boot in der Ihnestraße. Unangemeldet. Ihr versteht!“ – Wir verstehen alles. Also Eva Gerichter heißt das neue Mitglied unserer Clique! Ruth Andreas-Friedrich
„Der Schattenmann“, Tagebuchaufzeichnungen von 1938 bis 1945 und „Schauplatz Berlin“, Tagebuchaufzeichnungen von 1945 bis 1948, beide Bücher Suhrkamp-Verlag 1984.
Ruth Andreas-Friedrich (1901– 1977), Journalistin, Mitglied einer Widerstandsgruppe, die untergetauchte Juden versteckte.
Recherche: Jürgen Karwelat
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