Unabhängigkeit der Justiz: Richter wollen keine Schelte
Nach umstrittenem Urteil in einem Mietrechtsverfahren fordert der Präsident des Landgerichts mehr Vertrauen in die Gerichte, weniger Aufgeregtheit.
Der Präsident des Landgerichts, Bernd Pickel, verteidigt die Nebentätigkeiten von Richterin Regine Paschke und wehrt sich gegen die Berichterstattung vieler Medien. Bei einem Gespräch mit Journalisten forderte Paschke am Montag mehr "Vertrauen in die Gerichte" und "weniger Aufgeregtheit" in der Berichterstattung. "Das Anliegen dieser Veranstaltung ist, von der Presse einzufordern, auf einer gesicherten Faktenbasis Berichte zu bringen", sagte Manfred Schneider, der Richter am Landgericht ist und von Gerichtspräsident Pickel als seine Rechte Hand vorgestellt wurde.
Die umstrittene Richterin Paschke arbeitet hauptberuflich als Vorsitzende einer Kammer am Landgericht, die über über Streitigkeiten zwischen Mietern und Vermietern entscheidet. Nebenberuflich hält sie Seminare über das Mietrecht, die sich an Vermieter richten, und schreibt für die Zeitung Das Grundeigentum.
Besonderes Aufsehen erregte Paschke im Mai dieses Jahres mit einem Urteil gegen die Rentnerin Helga Brandenburger. Aus dem Bad- und dem Küchenfenster in der Calvinstraße 21 in Moabit konnte Brandenburger früher auf ein unbebautes Nachbargrundstück schauen. Dann baute der Vermieter dort ein neues Haus, die Mauer befindet sich direkt vor diesen beiden Fenstern. Auch das Haus, in dem Brandenburger wohnt, will der Vermieter sanieren, und anschließend die Miete erhöhen. Die Mieter fürchten, dass sie aus dem Gebäude vertrieben werden sollen, damit die Wohnungen deutlich teurer weitervermietet werden können. Das Schlagwort von der Gentrifizierung - hier wird es einmal konkret.
Juristisch gesehen ist die Sache so: Wenn in Küche und Bad die Fenster zugemauert werden und es so in beiden Räumen kein Tageslicht und keine Frischluft mehr gibt, ist das ein Mangel. Der Vermieter ist im Prinzip zur Beseitigung von Mängeln verpflichtet. Außer, heißt es etwas schwammig im Gesetz, wenn das „einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis“ steht. Bei der Frage, was verhältnismäßig ist, ist laut Gesetz auch zu berücksichtigen, "ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat". In diesem Fall also: Ob der Vermieter den Mangel selbst herbeigeführt hat.
Das Amtsgericht meinte in der ersten Instanz: Der Vermieter muss den Mangel beseitigen, also das neue Haus teilweise wieder abreißen und beim Wiederaufbau drei Meter Abstand zwischen den Fenstern und der Häuserwand lassen. Zwar ist dieser Aufwand für den Vermieter hoch, aber schließlich hat er das Problem auch selbst verursacht. Das Landgericht unter Vorsitz von Regine Paschke urteilte im Mai in zweiter Instanz gegenteilig: Die Fenster bleiben zugemauert, weil der Aufwand zu hoch ist.
Wenn diese Rechtsprechung sich durchsetzt, dann bedeutet das: Der Vermieter bekommt Recht, wenn er Geld hat. Hat der Vermieter die Fenster nämlich nur mit ein paar billigen Ziegeln und etwas Mörtel verschlossen, dann muss er diese Mauer wieder abreißen und der Mieter bekommt Tageslicht und Frischluft. Wenn hinter dieser Mauer aber der Vermieter für teures Geld gleich ein ganzes Haus baut, dann bekommt plötzlich - obwohl der Mangel für den Mieter identisch bleibt - der Vermieter Recht und der Mieter muss fortan ohne Tageslicht kochen und kann auf dem Klo nicht mehr lüften.
Gerichtspräsident Pickel sagte, die Dienstaufsicht könne bei Richtern nur einschreiten, "wenn ich sagen würde, das ist willkürlich, das ist ein offensichtlicher Fehlgriff". Das sei bei diesem Urteil von Regine Paschke nicht der Fall. Ob der Abriss des Neubaus verhältnismäßig sei oder nicht, sei eine Frage, bei der es für beide Ansichten gute Argumente gebe. Und die endgültige Entscheidung werde der die nächste Instanz treffen, bei dem der Fall inzwischen liege. Die Behauptung einiger Medien, das Landgericht habe die Berufung zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen, sei falsch.
Pickel verwies auf Artikel 12 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen." Daraus leite sich ein Grundrecht der Richter ab, nicht nur ihren Hauptberuf, sondern auch noch einen Nebenberuf (oder mehrere) frei zu wählen. Wenn er darüber zu entscheiden habe, ob er eine Nebentätigkeit genehmige, achte er darauf, dass keine zeitliche Überforderung oder finanzielle Abhängigkeit entstehe. Nebentätigkeiten dürften deshalb nicht mehr als acht bis zehn Stunden pro Woche umfassen. Eine Abhängigkeit könne entstehen, sagte Pickel, wenn "das Richtergehalt nur noch Nebeneinkommen ist". Vorsitzende Richter am Landgericht erhalten im zehnten Jahr ein Grundgehalt von brutto 5.327 Euro im Monat. Es können also nur Nebentätigkeiten erlaubt werden, die unterhalb dieser Größenordnung liegen oder sie jedenfalls nicht deutlich überschreiten.
Am 12. Juni hatte ein Bündnis von Mieterinitiativen gegen ein geplantes Seminar von Paschke im Hotel Esplanade demonstriert. Auf ihrem Plakat stand: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Gerichtspräsident Pickel betonte, dass Richter als Mitglieder der Gesellschaft nie völlig unabhängig von Eigeninteressen und persönlichen Standpunkten sein könnten: „Jeder ist entweder Mieter oder Vermieter, manche sind beides.“ Entscheidend sei: „Man sollte einem Richter zutrauen, dass er unabhängig von solchen normalen Beeinflussungen das Recht anwenden kann.“ Er verwies darauf, dass viele Richter auch als Autoren juristischer Fachliteratur arbeiten.
Pickel machte deutlich, dass er es unverhältnismäßig findet, wenn die Frage der richterlichen Unabhängigkeit gerade am Beispiel von Paschke diskutiert werde. Schließlich gebe es da seiner Ansicht nach ganz andere Fälle: „In der Berliner Justiz haben wir einen Richter, der ist Landesvorsitzender einer großen politischen Partei“, sagte Pickel, ohne den Namen von SPD-Chef und Verwaltungsrichter Jan Stöß ausdrücklich zu nennen. Pickel: „Sind das nicht viel stärkere Bindungen, die er zu einem bestimmten Lager hat, als jemand, der einmal im Quartal entsprechende Vorträge veranstaltet?“
Zudem gebe es auch Richter, die Bundestagsabgeordnete oder Bezirksstadträte waren. Über die werde allerdings nicht diskutiert. Pickel stellte die Frage, ob Richterin Paschke nur deshalb gerade so viel Aufmerksamkeit bekommt, weil Verdrängung und Gentrifizierung gerade ein gesellschaftlich heiß diskutiertes Thema sind und die Richterin mit ihrer Kammer nun einmal für solche Fälle zuständig ist.
In einen Widerspruch verwickelte sich Gerichtspräsident Pickel bei der Frage, aus welchen Quellen eigentlich die Richter das Recht schöpfen, das sie sprechen. Als es um die umstrittenen Urteile in Mietrechtsfällen ging, betonte Pickel einerseits, die Richter würden alleine die Gesetze anwenden. Zum Beispiel die Mieterhöhung nach einer Sanierung der Wohnung - das könne man als Richter persönlich falsch finden, es stehe aber so im Gesetz. Als es um die Nebentätigkeiten ging, lobte Pickel hingegen, dass die dort gemachten Erfahrungen sich postiv auf die Rechtsprechung der Richter auswirke: "Wenn Sie mit normalen Leuten sprechen, mit Anwälten, mit Interessenvertretern, dann sehen Sie sehen viel besser, wo die Probleme sind, wo Ihre Rechtsprechung am Bürger vorbeigeht, wo sie vielleicht unhandlich ist." Na sowas! Bis eben hätte man noch denken müssen, unhandliche Rechtsprechung könne nur an unhandlichen Gesetzen liegen. Aber so flackert dann der Gedanke auf, dass die persönlichen Erfahrungen des Richters wohl doch eine Rolle spielen.
Der Kommentar zu diesem Thema: Richter, spitzt die Finger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“