Umweltzone: Hannover nicht mehr grün
Niedersachsens Umweltminister Sander lockert die Umweltzone in der Landeshauptstadt Hannover. Auch weiterhin dürfen Fahrzeuge mit gelber Feinstaubplakette in die Innenstadt fahren.
Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) entschärft die Umweltzone in Hannover. Per Erlass hat er die Stadt aufgefordert, noch bis Ende 2011 weiterhin Dieselfahrzeuge mit gelber Plakette in der Umweltzone zuzulassen. Seit Anfang des Jahres durften in Hannover nur noch Fahrzeuge mit grüner Umweltplakette ins Stadtzentrum fahren. Jetzt soll auch eine gelbe Plakette wieder genügen.
Das Verwaltungsgericht Hannover hatte die Recht- und Zweckmäßigkeit der Umweltzone im vergangenen April bestätigt. Zwar habe die Plakettenregelung kaum Einfluss auf die Feinstaubbelastung in den Innenstädten, ausschlaggebend sei vielmehr ihr Einfluss auf die Belastung der Luft mit Stickstoffdioxid, das vor allem vom Autoverkehr stammt. "Ziel muss es sein, die Stickstoffdioxide zu reduzieren", sagt auch Sander. "Aber Dieselfahrzeuge der Euro 3-Norm erzeugen mehr dieser Stoffe, wenn sie mit bestimmten Feinstaubfiltern ausgestattet sind - dies belegt auch eine Studie des Umweltbundesamtes", erklärte der Minister am Freitag. Das Umweltministerium als oberste Fachaufsichtsbehörde sei in der Lage, die Stadt Hannover zur Umsetzung zu zwingen, sagt Sanders Sprecherin Tanja Föhr. Hannover habe innerhalb einer Woche ab Erlass die Möglichkeit Bedenken zu äußern. Dann müsste man verhandeln.
Die Stadt will sich jetzt den Wortlaut der Weisung genau anschauen und vermutlich kurzfristig die gelben Plaketten wieder auf die Umweltzonenschilder kleben. Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD) äußerte allerdings Unverständnis über die Entscheidung. "Sander macht damit das Chaos komplett - nachdem er es selbst angezettelt hat, indem er 2007 die Zuständigkeit für die Luftreinhaltepläne an die Kommunen delegiert hat." Er sage der Stadt zwar, was sie nicht tun dürfe, "hat aber keine Idee für eine Alternative". Sander kenne die Pläne der Stadt bereits seit rund zweieinhalb Jahren. Weil vermutet, dass sich die AutofahrerInnen jetzt "veräppelt" vorkommen werden.
Kritik kommt auch von Umweltschützern: "Anstatt sich für den Schutz von Mensch und Natur einzusetzen, bekämpft der Umwelt- und Klimaminister die Erhöhung der Schutzstufe der Umweltzone", beschwert sich der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann. Schon im Vorfeld von Sanders Entscheidung hatte BUND-Geschäftsführer Carl-Wilhelm Bodenstein-Dresler den Vorstoß als "völlig absurd" bezeichnet. Sander habe zu verantworten, dass Niedersachsen als einziges Bundesland keine abgestimmten Regelungen zum Umgang mit den Plaketten habe.
Auch die Landtagsopposition kritisierte Sanders Vorgehen scharf: Schon lange sei bekannt, dass ein kleiner Teil der Fahrzeuge mit gelber Plakette falsch eingeordnet sei, sagte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Enno Hagenah. Das nutze der Minister jetzt, zur "Chaotisierung" der Umweltzonenregelung. Adressat für den aktuellen Erlass müsse eigentlich die Bundesregierung sein: Berlin hätte die Plakettenverordnung längst ändern können und müssen.
Hannover führte als erste norddeutsche Stadt Anfang 2008 eine Umweltzone ein. Seit Januar 2009 dürfen Fahrzeuge mit roten Plaketten nicht mehr in die Umweltzone fahren.
In Bremen gibt es seit 2009 eine Umweltzone. Seit Jahresbeginn sind in der Bremer Innenstadt Autos mit roter Plakette tabu. Ab Juni dieses Jahres sollen auch Fahrzeuge mit gelber Plakette nicht mehr in die Innenstadt fahren dürfen.
Osnabrück führte Anfang dieses Jahres eine Umweltzone ein. Noch dürfen alle Fahrzeuge, die eine Plakette haben, in die ausgeschilderten Bereiche fahren. Ab dem 3. Januar 2011 soll die Regelung verschärft werden. Fahrzeuge mit roter Plakette müssen draußen bleiben. Die nächste Verschärfung ist für 2012 geplant. Von da an dürfen nur noch Fahrzeuge mit grünen Plaketten in Osnabrücks Umweltzone.
Die Hannoversche Linken-Abgeordnete Christa Reichwaldt findet, Sander bleibe seiner Tradition treu. "Vom Atom-T-Shirt über das so genannte ,Kettensägenmassaker' macht er sich jetzt gegen Krupp-geschädigte Kinder stark." Die Feinstaubregelung habe in Berlin zu einer 15-prozentigen Senkung der Krupp-Erkrankungen bei Kindern geführt. Sanders Weisung sei "ein direkter Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung".
Nur der Verband des Verkehrsgewerbes in Niedersachsen (GVN) begrüßte Sanders Vorstoß am Freitag. Der GVN setzt sich für eine zentrale Federführung und einheitliche Vorschriften ein: Keinem Unternehmer könne zugemutet werden, vor einem Transport innerhalb eines Bundeslandes erst alle möglichen Stellen zu kontaktieren und möglicherweise für ein einziges Fahrzeug diverse kostenpflichtige Ausnahmegenehmigungen mitführen zu müssen.
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