Umweltsünder auf Grüner Woche: Küken, Kartoffeln und Kannibalen
Auf der Ernährungsmesse Grüne Woche präsentiert sich die Agrarindustrie als tier- und umweltfreundlich. Doch viele Aussteller sind Massentierhalter und Umweltsünder.
Putzige Küken, die von Qualzucht ablenken
Süß sehen sie ja aus, die kleinen Küken mit ihrem sauberen Flaum am Stand des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft in Halle 3.2. Kein Wunder, dass ständig Kinder auf die Stufe vor dem Kasten mit den Hühnerbabys klettern, um die Tierchen unter der roten Heizlampe zu streicheln. Und die Aussteller tun alles, damit das so bleibt: "Alle paar Tage werden die Küken ausgetauscht, weil sie so schnell wachsen. Sie wollen immer nur welche zeigen, die das ,Sind die süß!' wecken. Das soll davon ablenken, wie solche Tiere wirklich leben", sagt Reinhild Benning, Agrarexpertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). "Solche Stände sind Verbrauchertäuschung, denn wenn es fies wird, zeigen sie das nicht."
Fies wird es, wenn zum Beispiel überzüchtete Puten erwachsen werden und ihr Brustmuskel so dick wird, dass er ein Drittel des Körpergewichts ausmacht. "Viele kippen vornüber und schleifen sich auf der Brust durchs Leben", erzählt Benning. Das halte das Skelett kaum aus, sodass fast alle Puten Gelenkschäden hätten. "Qualzucht" schimpft die Umweltschützerin das. Was antwortet der Geflügelbranchenverband darauf? Dass Amtstierärzte die Ställe ständig kontrollierten. "Wir zeigen auch nicht nur Küken, wie ein Blick auf die Ausstellungswand hinter den Tieren zeigt", erklärt Sprecherin Kerstin Spelthann. Allerdings nur auf Fotos. Lebendige adulte Puten würden mehr Platz brauchen.
Die weltgrößte Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau in Berlin zieht alljährlich 400.000 Besucher an. Damit prägt sie das Bild der Agrarwirtschaft erheblich.
Zwar gibt es auch Stände etwa von Biofirmen, aber der konservative Deutsche Bauernverband und die deutsche Ernährungsindustrie sind "ideelle Träger" der Massenveranstaltung - und nutzen sie zur Selbstdarstellung.
Am bekanntesten ist die Halle "Erlebnisbauernhof". Hier lockt die Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft unter anderem mit lebendigen Tieren. Zu dem Verein gehören Chemie- und Düngemittelhersteller
Blut in der Ferkelbox, aber zu lange Schwänzchen
Auch im Schweinestall auf dem Erlebnisbauernhof in Halle 3.2 gibt es nur Jungtiere zu sehen. 25 Ferkel liegen, laufen oder fressen in einem Karree aus Metallplatten. "Semirealistisch" nennt Umweltschützerin Benning die Haltungsbedingungen. Denn mehrere Tiere haben deutliche Blutspuren am Kopf, einige Ohren sind verstümmelt. "Die Schweine beißen sich gegenseitig in die Ohren, weil sie zu wenig Anregung in solchen Ställen haben", erläutert Benning. Schließlich besteht der Boden aus einem mit Plastik beschichteten Gitter, was das mühselige Entmisten überflüssig machen soll, es gibt kein Stroh, mit dem die Tiere spielen könnten. So viel Realismus löste dieses Jahr gleich empörte Boulevardschlagzeilen in Berlin aus: "Tier-Skandal: Schweine bluten für die Grüne Woche". Zwar hängen vier Spielketten von oben in die Box, aber "wenn die Schweine die einmal erkundet haben, lassen sie das sein", sagt Benning. Stattdessen knabbert gerade ein Tier an dem auf etwa 10 Zentimeter gestutzten Ringelschwänzchen eines Artgenossen. Da entfernt sich der Schaustall von der Wirklichkeit der meisten deutschen Schweinefabriken. Denn so lang sind die Schwänzchen fast nie nie - damit sie Artgenossen in der langweiligen Umgebung nicht zum Kannibalismus anregen. Benning: "Aber so ein stark kupierter Schwanz sieht ganz schlecht aus - vor allem auf einer Messe wie der Grünen Woche."
Der Organisator des Stands mit dem Schweinestall, die Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft (FNL), räumt auch ein, dass konventionelle Halter die Schweineschwänze normalerweise stärker stutzen. "Aber wir wollten zeigen, wie die Tiere natürlicherweise wachsen", sagt Projektleiterin Friederike Brinker.
Robustes Fleckvieh statt klappriger Turbokühe
Es ist gegen 17 Uhr - Zeit für die Kühe im Kuhstall des Erlebnisbauernhofs, sich vor dem Melkroboter aufzureihen. Langsam trottet eines der schweren Tiere vor die Maschine am Rand des Stalls, ein Laserstrahl tastet sein Euter ab, vollautomatisch wird es gemolken. Das ist Realität in immer mehr Ställen, in denen kaum noch Menschen arbeiten.
Aber die Kühe sind braun-weiß - sie gehören der Hausrindrasse Fleckvieh an. Was BUND-Expertin Benning daran stört: "Die meisten Milchkühe in Deutschland sind die schwarz-weißen Holstein-Friesian." Diese Rasse ist im Gegensatz zum Fleckvieh ausschließlich auf Milchleistung gezüchtet. Die Kühe sehen etwas klapprig aus, jeder Wirbel sticht unter dem Fell hervor, weil bei ihnen die ganze Energie in die Milchleistung und kaum ins Fleisch geht. "Aber das wollen die Aussteller hier nicht zeigen. Wegen der extremen Leistungssteigerung sind Turborassen weniger ansehnlich", sagt Benning. Auch dafür hat FNL-Sprecherin Brinker eine ganz andere Erklärung parat: "Wir hatten die letzten Jahre immer Holsteiner auf der Grünen Woche, jetzt wollten wir mal eine andere Rasse zeigen."
Viel Technik, keine Kritik
Am Südeingang des Erlebnisbauernhofs empfängt die Besucher ein gigantischer Traktor mit Chemiespritze. Die Reifen sind größer als ein Mensch, der Tank dahinter fasst 7.000 Liter Pestizide. Die Flüssigkeit kann durch Düsen in zwei insgesamt 30 Meter langen Metallarmen rechts und links versprüht werden. Jetzt hängen sie über den Köpfen der Zuschauer. Viele Männer fotografieren das imposante Stück Technik. BUND-Frau Benning nicht. "Hier wird suggeriert: Wir brauchen riesige Maschinen, um die Welt zu ernähren", sagt sie. "Dabei sind die meisten Landwirte auf der Welt Kleinbauern, die weder Geld noch Land für so ein Monstrum haben." Und dann hat der Traktor noch ein zulässiges Gesamtgewicht von 14.000 Tonnen. "Die Riesenmaschinen führen auf dem Feld leicht zu Bodenverdichtung", meint die Umweltschützerin. In den zusammengedrückten Poren könnten Mikroorganismen nicht mehr absterbende organische Substanz in neues Leben umbauen, das Wasser versickere nicht mehr so gut, und könne deshalb leichter den Boden wegschwemmen. Benning: "Von solchen Problemen wird hier durch die Faszination Technik abgelenkt."
FNL-Sprecherin Brinker findet aber: "Wir wollen den Städtern zeigen, dass in der Landwirtschaft moderne Maschinen eingesetzt werden", die im Übrigen immer umweltschonender würden. "Das sind auch alles nur Maschinen mittlerer Größe." In der Tat: Die Pflanzenschutzspritze gibt es auch mit doppeltem Fassungsvolumen: 14.000 Liter.
Anfüttern für die Gentechnik
Wo die Agrarindustrie ist, darf Gentechnik nicht fehlen. Auf der Grünen Woche findet sie sich zum Beispiel in einer Ecke des Erlebnisbauernhofs. "Grünes Labor Gatersleben" steht auf einem Schild. Darunter ein Labortisch, voll gepackt mit Reagenzgläsern, einem Mikroskop und Proben von Lebensmitteln. Zwei Schülerinnen in weißen Kitteln schneiden gerade eine Banane in Scheiben und werfen sie in ein Laborglas. Sie wollen die Erbinformation (DNA) der Pflanze sichtbar machen. Pädagogisch sehr wertvoll sei das, sagt Laborleiter Steffen Amme. "Denn hier ist ein Brückenschlag von der Zell- zur Molekularbiologie möglich." Da wird Heike Moldenhauer, Gentechnikexpertin des BUND, ganz unruhig. "Experimentieren ist toll. Aber ich habe Angst wegen der Indoktrination. Die Gentechniker füttern hier sozusagen die Jugend mit harmlosen Laborarbeiten an." Gentechkritiker kommen da natürlich nicht zu Wort. Denn der Bio-Tech-Park im sachsen-anhaltischen Gatersleben ist ein Zentrum der Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen. "Das Grüne Labor", sagt Moldenhauer, "ist Teil des Gesamtprojekts, für Akzeptanz der Gentechnik zu sorgen." Und Amme bestätigt: "Das Schülerlabor ist natürlich etwas Öffentlichkeitsarbeit in Sachen grüne Gentechnik." Aber die Experimente stünden auch in Lehrplänen staatlicher Schulen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an