Umweltminister Norbert Röttgen: "Mit Basta-Politik wird es nicht gehen"
Klimaschutz habe weniger mit Verzicht als mit Wohlstand zu tun, meint der neue Umweltminister Röttgen. In Kopenhagen getroffene Entscheidungen müssten streng kontrolliert werden.
taz: Herr Röttgen, vor Ihrer Abreise zum Kopenhagener Klimagipfel an diesem Samstag haben Sie sich sehr zuversichtlich geäußert. Was verschafft Ihnen die Gewissheit, dass es zu einer Einigung kommt?
Norbert Röttgen: Von Gewissheit kann nicht die Rede sein. Erst vor einigen Tagen haben China und Indien erklärt, dass sie sich auf eine maximale Erderwärmung von 2 Grad nicht festlegen lassen.
Was geschieht, wenn diese Länder auf ihrer Position beharren?
Dann wäre Kopenhagen gescheitert. Angesichts der dramatischen Folgen einer Klimaveränderung hat die Politik aber gar keine andere Option, als erfolgreich zu sein.
Wenn es zu einer Vereinbarung kommt: Wie garantieren Sie, dass sämtliche 192 Staaten ihre Versprechen umsetzen?
Die politische Entscheidung muss in ein verbindliches Abkommen überführt werden, das auch einen Mechanismus zur Kontrolle und Überprüfung der Maßnahmen beinhaltet. Darauf werden wir drängen.
Sie wollen Sanktionen?
Darüber müssen wir uns in Kopenhagen verständigen. Wie genau die Überprüfbarkeit aussieht, ist Teil der Verhandlungen. Wir müssen dabei berücksichtigen, dass wir es auch mit Staaten zu tun haben, die ganz andere Traditionen und Souveränitätsvorstellungen haben als wir.
Werden sich 192 nationale Regierungen und Parlamente bis 2050 daran gebunden fühlen, was im Jahr 2009 in Kopenhagen beschlossen wurde?
Der Kopenhagen-Prozess zielt darauf ab, dass sich die Staaten nach außen verständigen und das Beschlossene dann nach innen umsetzen. Wir drehen da an einem ziemlich großen Rad, zugegeben. Aber nur so geht es.
Sie haben an prominente Sportler oder Schauspieler appelliert, zu Vorbildern für den Klimaschutz zu werden. Gilt das auch für Sie persönlich, nach Ihrer Ankündigung, vom Frühjahr an in Berlin Fahrrad zu fahren?
Der HSV beispielsweise hat letzte die Entscheidung getroffen, den CO2-Ausstoß bei seinen Reisen mit Investitionen in den Klimaschutz zu kompensieren. So etwas bewirkt bei Fußballfans viel mehr, als wenn ich etwas über die Folgen der Erderwärmung erzähle. Mein eigener Beitrag zum Klimaschutz besteht vor allem darin, dass ich ein guter Umweltminister sein will. Es geht nicht darum, dass ich mich selbst als vorbildlichen Menschen inszeniere.
Ist Klimaschutz Sache des Staates oder Sache des Einzelnen?
Beides ist wichtig. Wenn die Politik Standards setzt und die Gesellschaft darauf nicht reagiert, werden diese Standards folgenlos bleiben.
Sie könnten klimaschädliche Produkte einfach verbieten.
So etwas geschieht ja auch. Aber in einer Demokratie brauchen Sie dafür die Akzeptanz der Bevölkerung. Wir sind nicht einer autoritären Kommandowirtschaft, die solche Dinge einfach befiehlt.
Auch als demokratischer Politiker dürfen Sie das Thema so wichtig nehmen, dass Sie mit unpopulären Schritten Ihre Abwahl riskieren.
Natürlich können Sie den Klimaschutz immer gegen andere Interessen ausspielen. Zum Beispiel das Interesse von Unternehmen, Gewinne zu machen. Oder das Interesse von Politikern, wiedergewählt zu werden. Das ist eine Strategie, die den Klimaschutz zielgerichtet in die Sackgasse führt.
Wenn wir Sie recht verstehen, geht es bei der Klimareform um die richtige Vermittlung. Das hat der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder schon gesagt, in Bezug auf die Sozialreform. Können Sie daraus lernen?
Schröder hat exemplarisch vorgeführt, wie man Veränderungsprozesse durch Basta-Politik vor die Wand fahren kann. Er hat nicht erklärt, warum wir uns anstrengen müssen. Er hat mit Versprechungen sein Mandat gewonnen, um anschließend etwas anderes zu machen. Er hat Verlustängste nicht angesprochen.
Dann nennen Sie doch die Verlierer der Klimapolitik.
Verlieren werden diejenigen, die bestehende Strukturen konservieren wollen. Wer das Wachstum seines Unternehmens weiterhin auf zunehmendem Ressourcenverbrauch aufbauen will, der wird verlieren. In der Gesamtbetrachtung werden wir am Ende Gewinner sein.
Den Luftverkehr beispielsweise wird man auf absehbare Zeit nicht klimaneutral betreiben können. Würden Sie von Ihrem privaten Geld heute noch Lufthansa-Aktien kaufen?
Es geht mir nicht um einzelne Firmen. Es geht darum, dass wir den gesamten Verkehrssektor umstellen. Dass wir im Automobilsektor die Antriebstechniken umstellen, der eine ganz andere ökonomische Relevanz hat als die Lufthansa. Diese Umstellung kann die Politik niemandem ersparen, das ist das Gesetz der Marktwirtschaft. Wir können sie nur gestaltbar machen.
Nehmen wir ein Beispiel: Jemand arbeitet in Berlin und wohnt im Rheinland. Wird ein solches Lebensmodell in Zukunft möglich sein?
Selbstverständlich werden wir mobil sein. Auch wenn ich dieses Modell aus persönlicher Erfahrung nicht empfehle.
Richtiges Wachstum bestünde darin, darauf zu verzichten?
Für die Familie schon.
Und für die Umwelt?
Ihre Argumentation liefe darauf hinaus, dass wir modernes Leben nicht aufrechterhalten können. Das ist falsch. Wir müssen es anders organisieren und mit anderen Technologien betreiben, aber wir werden weiter mobil sein. Innerhalb Deutschlands und darüber hinaus.
Renommierte Klimaforscher sagen, ohne einen Abschied vom gewohnten Lebensstandard wird es nicht gehen.
Es scheint Ihnen ein Anliegen zu sein, den Menschen die Lebensfreude zu nehmen. Das halte ich nicht für eine gute politische Strategie. Der Klimaschutz ist die Bedingung für künftigen Wohlstand, nicht umgekehrt.
Und die Voraussetzung dafür sehen Sie in der weiteren Nutzung der Atomenergie? Als Ökoenergie, wie Kanzleramtschef Ronald Pofalla einmal sagte?
Im Wahlprogramm wie in der Koalitionsvereinbarung haben wir gesagt: Die Kernenergie soll die Brücke zur Ökoenergie bauen, also zur regenerativen Energie. Deren Anteil an der Stromversorgung liegt erst bei 15 Prozent. Da haben wir noch eine Strecke zurückzulegen. Entscheidend ist: Die Erneuerbaren sind das Ziel, die Kernkraft ist ein Mittel.
An dieser Absicht zweifeln Umweltexperten selbst in Ihrer eigenen Partei, seit Sie den Atomlobbyisten Gerald Hennenhöfer als Abteilungsleiter zurückgeholt haben.
Ihre schablonenhafte Beschreibung wird der Person nicht gerecht. Im Übrigen ist Herr Hennenhöfer Beamter, ich bin der politisch verantwortliche Minister. Wenn Sie Entscheidungen dieses Hauses kritisieren möchten, dann bin ich dafür der Adressat. Warten Sie doch erst einmal ab, bis wir im Herbst nächsten Jahres unser Energiekonzept vorlegen.
Atomkraftwerke können die Entwicklung erneuerbarer Energien auch blockieren. Sie lassen sich nicht herunterregeln, wenn beispielsweise die Windräder bei starkem Sturm viel Strom erzeugen.
Dann dürfen Sie nicht die modernen Kohlekraftwerke verhindern, die eine flexible Anpassung ermöglichen. Solange Sie nur 15 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen, müssen die übrigen 85 Prozent irgendwo herkommen. Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben das gar nicht seriös durchgerechnet, als sie willkürlich den Atomausstieg bis 2020 beschlossen haben. Im Gegensatz zu uns haben sie im Übrigen nicht den Anspruch formuliert, die Energieerzeugung bis 2050 nahezu vollständig auf erneuerbare Quellen umzustellen.
Weil sich die damalige CDU-Opposition entrüstet hätte.
Jetzt sagen wir es, anders als meine Vorgänger Sigmar Gabriel oder Jürgen Trittin - an deren Arbeit ich im Übrigen anknüpfe.
Die Zeiten, in denen Trittin ein Feindbild war, sind vorbei?
Ein Feindbild? Nein. Es ist allerdings eindeutig vorzuziehen, dass ich jetzt Umweltminister bin und nicht Herr Trittin.
"Es scheint Ihnen ein Anliegen zu sein, den Menschen die Lebensfreude zu nehmen"
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