Umweltbewusstsein im Industriestaat Japan: Stromsparen als nationale Passion
Klimaziele verpasst, mehr Treibhausgase in die Luft gepustet: Japans Bürger und Firmen haben die Energierevolution trotzdem schon begonnen.
TOKIO taz Die Tsunami-Wellen im März vergangenen Jahres haben auch Japans ehrgeizige Klimaziele weggeschwemmt. In ihrem Ausstellungspavillon in Rio de Janeiro zeigt die Regierung, wie die Japaner auf das Desaster reagieren – mit der Entwicklung nachhaltiger Siedlungen und neuem Katastrophenschutz.
So viel ist klar: Japan wird sein Versprechen vom Kopenhagener Gipfel vor drei Jahren brechen, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 25 Prozent gegenüber 1990 zu senken. „Wir brauchen eine Überprüfung, weil wir in der Zukunft weniger von der Atomkraft abhängig sein dürfen“, räumte Vizepremier Katsuya Okada bereits ein. Je nachdem, wie viele Atomkraftwerke künftig am Netz bleiben, wird sich der CO2-Ausstoß realistischerweise nur um 5 bis maximal 15 Prozent senken lassen, schätzen Berater des Umweltministeriums. Das ursprüngliche Ziel sei nur durch den Kauf von Emissionsrechten anderer Länder zu erreichen.
Ohnehin war die Vorgabe von 25 Prozent in Japan umstritten: Das entsprechende Gesetz blieb im Parlament stecken, weil Teile der regierenden Demokraten den geplanten massiven Ausbau der Atomkraft von 30 auf 50 Prozent an der Stromproduktion ablehnten.
Die Wirtschaft wiederum wehrte sich gegen den Emissionshandel und eine Umweltsteuer. Ihr Argument: Durch die Zusatzkosten würden energieintensive Industrien wie der Autobau, die Stahlherstellung und der Schiffbau im globalen Wettbewerb zurückfallen.
Alle 50 AKWs abgeschaltet
Seit den Kernschmelzen von Fukushima ist die alte Klimapolitik endgültig Makulatur. Wird die Laufzeit der Reaktoren wie geplant auf 40 Jahre beschränkt, sinkt der Anteil von Atomenergie an der gesamten Stromproduktion bis 2030 auf 15 Prozent. Im Jahr vor Fukushima betrug dieser Anteil noch 26 Prozent.
Derzeit sind alle 50 Atomkraftwerke abgeschaltet. Stattdessen wird mehr Strom aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Japans importiert seit Fukushima allein 18 Prozent mehr Flüssiggas.
Bei einem Atomausstieg würden die CO2-Emissionen um ein Sechstel steigen. Verhindert werden könnte dies nur durch eine Kombination aus Energiesparen und dem vermehrten Anzapfen von erneuerbaren Quellen. In Japan verweist man auf die deutsche Energiewende, die den CO2-Ausstoß um ein Viertel reduzierte. „Mit unserem Knowhow können wir das Gleiche wie Deutschland schaffen“, meint Sei Kato, Vizechef des Förderbüros für die kohlenstoffarme Gesellschaft im Umweltministerium.
Beim Gipfel in Rio dürfte Tokio wohl neue Emissionsziele für den Klimaschutz ablehnen. Doch bei Bürgern und Firmen hat – unter dem Schock von Fukushima – ein tiefes Umdenken begonnen: Das Energiesparen wurde zur nationalen Passion. Jedes zehnte neu zugelassene Auto hat einen sparsamen Hybridmotor, mehr als in jedem anderen Land.
Ohne Anzug und Krawatte im Büro
In diesem Jahr haben viele Konzerne ihre Mitarbeiter erstmals angewiesen, ohne Krawatte und Jackett zu arbeiten, damit in Büros und Fabriken die Klimaanlage weniger gebraucht wird. Supermärkte und andere Geschäfte steigen kollektiv auf LED-Lampen um. Die Entwicklungsingenieure konzentrieren sich auf Projekte, die die Energieeffizienz von Geräten und Prozessen optimieren.
Japans größter Arbeitgeber in der Industrie, der Elektrokonzern Panasonic, will ganz offiziell zum „grünsten“ Technologiekonzern der Welt werden. „Ab 2018 werden unsere CO2-Emissionen trotz steigender Umsätze sinken“, versprach Firmenchef Fumio Otsubo. Als weltweit erstes Unternehmen verkauft Panasonic zum Beispiel eine selbst entwickelte Brennstoffzelle fürs Eigenheim.
Nahe Tokio errichtet der Konzern eine „nachhaltige, intelligente“ Stadt für 3.000 Bewohner mit einem intelligenten Stromnetz. Jedes Haus erzeugt mit Solaranlage und Brennstoffzelle genug Strom und Warmwasser für den Eigenbedarf. Während die Beamten an der neuen Klimapolitik feilen, hat in Gesellschaft und Wirtschaft die Energierevolution längst begonnen.
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