Umweltbewegung beim Klimagipfel: 46 Stunden Busfahrt
Es sind weniger Protestler zum Klimagipfel in Cancún gekommen als erwartet. Das liegt auch an einer Spaltung der Bewegung. Und an den langen Anreisewegen.
"Weltbank – raus aus der Klimafinanzierung" – skandiert Sandra Kintela aus Brasilien. Sie ist mit dem Netzwerk "Jubilee South" zur Klimakonferenz nach Cancún gekommen. Mit vielleicht 3.000 Menschen zieht sie durch die Innenstadt von Cancún, um gegen die Gipfel-Diplomatie zu demonstrieren.
"No REDD" ist dagegen auf dem Highway zum Konferenzzentrum einer der häufigsten Schriftzüge auf den Bannern. Aktivisten des Kleinbauern-Netzwerks "Via Campesina" und andere Klimaschützer waren von der Innenstadt Richtung Konferenzzentrum aufgebrochen, über jene Autobahn, über die die Delegierten zu ihrem Tageswerk fahren müssen. „Nein zu Umweltzerstörung, ja zu Kapitalzerstörung“ lautet ihre Forderung. Die Veranstalter sprechen von 5.000 Teilnehmern, die Polizei von 3.000.
Mindestens fünf Hundertschaften hat die Polizei in Kampfmontur bereitgestellt, um die Protestierer aufzuhalten. Der Marsch stoppt 500 Meter vor der Polizeiblockade. Damit sich zu den Demonstranten nicht weitere gesellen, hat die Polizei eine Art Kessel um die Aktivisten gebildet. Militärhubschrauber kreisen, die Stimmung ist gereizt. Bei der Konfrontation der lauten und wütenden Aktivisten mit der Polizei kommt es aber - anders als in Kopenhagen - nicht zu Gewaltausbrüchen.
Sergio Arispe, Mitglied der bolivianischen Regierungsdelegation, ärgert sich: Die Veranstalter des Marsches hatten mit 30.000 Menschen gerechnet. "Es sind weniger gekommen – aber wenn man wenigstens die beiden Demonstrationen vereinigt hätte, wären wir mehr gewesen."
Zwei Demos an einem Tag – das zeigt den Zustand der mexikanischen Umweltbewegung. In der Innenstadt hatte etwa 50 mexikanische und die großen internationalen NGOs – Greenpeace, Oxfam, Friends of the Earth – aufgerufen, zum Marsch über die Autobahn hauptsächlich die "Via Campesina".
Der Grund für die Spaltung der Bewegung seien vor allem Marktmechanismen wie REDD, glaubt Raúl Garcia, der für eine lokale Umweltorganisation aus Mexiko City nach Cancún gekommen ist. Mexiko habe mit marktbasierter Umweltpolitik sowohl schlechte als auch gute Erfahrung gemacht. „Entsprechend ausdifferenziert ist die Bewegung“. Und Cecilia Navarro von Greenpeace Mexiko zeigt die ganze Bandbreite der Bewegung auf: „Die einen fordern Klimagerechtigkeit, die anderen Nahrungsmittelsicherheit“.
Der nationale Bauernverband Conoc hatte mehrere Hundert Teilnehmer in den Touristenort Cancún an die Ostspitze Mexikos gebracht. Im Bus saß beispielsweise Laetitia Lopez, eine Mittdreißigerin aus Mexikos Norden. "Wir kommen aus allen Teilen des Landes, sogar aus Chihuahua ganz im Norden. Viele von uns haben eine 46-stündige Busfahrt hinter sich." Wäre die Demonstration an einem weniger abgelegenen Ort, etwa Mexico City, gewesen, hätte man mehr Menschen mobilisieren können, ist sich Lopez sicher.
Dass der Protest insgesamt nicht so groß war wie in Kopenhagen im vergangenen Jahr, bedeute nicht, dass die Menschen in Mexiko über den Klimawandel nicht besorgt seien, sagt Cecilia Navarro von Greenpeace. Im Gegenteil, „Hurrikane, Meeresspiegelanstieg und veränderte Erntezeiten sind in Mexiko ein großes Problem.“ Und die Brasilianerin Sandra Kintela weist auf einen wesentlichen Unterschied zu Kopenhagen hin: „In Mexiko werden immer noch die Menschenrechte verletzt. Das schreckt natürlich ab“.
Für Mittwoch sind weitere Demos in Cancun angekündigt. Und auch auf dem Konferenzparkett soll es so etwas wie Protest geben: Die Kampagne "Plant for the Planet" will die 193 angereisten Energie- und Umweltminister dazu bringen, einen Spaten in die Hand zu nehmen. Sie sollen einen Baum auf dem Konferenzgelände pflanzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben