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Umsturz in KirgisistanFlucht unter Kirschbäume

Der nach dem Umsturz aus der Hauptstadt Bischkek geflohene kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew lehnt seinen Rücktritt ab und will mit den Putschisten verhandeln.

In Kirgisistan werden die Opfer des blutigen Umsturzes zu Grabe getragen. Bild: dpa

DSCHALALABAD taz | Eine Jurte steht zwischen blühenden Kirschbäume. Darin sitzt, frisch rasiert und in einem grauen Anzug, der aus Bischkek geflohene kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew in einem grünen Sessel. Der Handdruck ist weich. "Ich bin nach wie vor der Präsident Kirgisiens", sagt Bakijew mit sanfter Stimme. Daran habe sich bisher nichts geändert. "Ich kann entweder selbst zurücktreten oder nur vom Parlament abgesetzt werden", erklärt Bakijew. Beides sei bisher nicht geschehen.

Das Stadtviertel, in das sich der Präsident und seine nahen Verwandten zurückgezogen haben, liegt kaum einen Kilometer vom Gouverneurssitz in Dschalalabad, im Süden Kirgistans, entfernt. Umgedrehte Betonstelen blockieren die Straßen und eine Handvoll Männer in Trainingsanzügen, mit Kalaschnikows und Funkgeräten bewaffnet, bewachen die Zufahrten.

Die kirgisischen Jungmänner sind unrasiert, ihre Augen sind gerötet. Ein stämmiger Mann in dunkelblauem Sportdress um die 30 Jahre befehligt die Wachmannschaften und in seinem müden Gesicht fand sich die Ähnlichkeit mit Bakijew, den am Dienstag die blutige Straßenrevolte aus dem Amtssitz in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek geworfen hatte. Seither ist der kirgisische Präsident auf der Flucht im Süden des vom Tienshan Gebirges geteilten zentralasiatischen Landes an der chinesischen Grenze.

Hilfslieferungen aus den USA

Während Washington den Transport seiner Truppen nach Afghanistan über den Luftwaffenstützpunkt Manas vorübergehend einstellte, trafen dort nach Angaben der US-Botschaft medizinisches Gerät und Hilfsgüter ein. Über humanitäre Hilfe unterhielten sich am Samstag telefonisch auch US-Außenministerin Hillary Clinton und die kirgisische Interims-Regierungschefin Rosa Otunbajewa. Clinton habe die Bedeutung Kirgisien für den Truppentransport nach Afghanistan hervorgehoben, sagte Außenamtssprecher Philip Crowley. Otunbajewa sicherte demnach die Einhaltung bestehender Verträge zu. (afp)

Seit dem Zerfall der Sowjetunion ringen die Klaneliten um Einfluss und Macht in dem bitterarmen Land mit knapp fünf Millionen Einwohnern. Das mit Schnee und Gletschern bedeckte Gebirge trennt den wirtschaftlich stärkeren Norden von dem ärmeren Süden. Das unruhige zentralasiatische Land ist von geostrategischer Bedeutung, die Amerikaner unterhalten am Flughafen in Bischkek eine Luftwaffenbasis für den Krieg in Afghanistan, und auch Russland zeigt in Kirgisien militärische Präsenz.

"Ich bin aus Bischkek geflohen, um meine Sicherheit und die des Landes zu retten", sagt Bakijew. Denn wäre er in der Hauptstadt getötet worden, wäre ein Bürgerkrieg unvermeidbar gewesen. Der gestürzte kirgisische Präsident stammt ursprünglich aus der südkirgisischen Stadt Dschalalabad, wo er jetzt Zuflucht gesucht hat. "Ich bin nach Dschalalabad zurückgekehrt, um von hier über die Zukunft des Landes zu verhandeln", sagt er. Ein Kreis schließt sich. Vor fünf Jahren nahm die sogenannte Tulpenrevolution in Dschalalabad ihren Anfang und trug den jetzt Flüchtigen in den aus weißem Marmor errichteten Präsidentenpalast nach Bischkek.

Bakijews damalige Mitstreiter sind heute seine erbitterten Gegner. Sie werfen ihm vor, die Tulpenrevolution verraten zu haben und die Reichtümer des Landes an seine Familie zu verteilen. Die Opposition machte sich den wachsenden Unmut der Bevölkerung zunutze. Als Präsident erhöhte Bakijew massiv die Preise für Strom und Telefon und drehte an der Steuerschraube. Als eine der ersten Amtshandlungen setzte die provisorische Regierung alle Preiserhöhungen aus. Aber Bakijew ist überzeugt, dass dies nichts mit der Revolution zu tun habe. "Wir stehen ökonomisch und politisch besser da, die Opposition hat dem Land nichts zu bieten", sagt der Präsident.

Bei der Revolte ist Blut geflossen. Zum Schutz des Präsidentenpalastes hatten Sicherheitskräfte am Dienstag in Bischkek in die vorrückende Menge geschossen. Mehr als 60 Menschen sollen dabei getötet wurde sein. Schanisch Bakijew, einer der Brüder des Präsidenten, soll als Sicherheitschef den Schießbefehl gegeben haben. Er wird von der provisorischen Regierung per Haftbefehl gesucht. Kurmanbek Bakijew hat der neuen Chefin im Land, Rosa Utanbajewa, jedoch Straffreiheit zugesagt, sollte er nicht zurücktreten.

Bakijew erklärt, dass allein die Opposition für die Toten verantwortlich sei. "Sie haben als Erste geschossen - direkt in mein Büro, und sie haben mich beinahe getötet", sagt Bakijew aufgeregt. Erst nach dem Angriff der Opposition hätten die Wachmannschaften das Feuer eröffnet. Sein Bruder Schanisch Bakijew erklärte später, dass dies ein Akt der Notwehr gewesen sei. "Der Präsidentenpalast wurde mit Schusswaffen angegriffen und da mussten wir reagieren."

Kurmanbek Bakijews Familie ist groß. Ein Bruder war sein Sicherheitschef, Marat ist kirgisischer Botschafter in Berlin, ein weiterer Bruder machte sich als Geschäftsmann einen Namen und der Jüngste organisierte am Samstagmorgen die Wachen in dem Stadtviertel.

Mehrere hundert Kirgisen versammeln sich auf dem Hof des Grundstücks von Bakijew. In einem Leinensack werden Brotfladen hereingebracht. Kurmanbek Bakijew berät sich mit den Gästen und schüttelt Hände. An diesem Abend steht ein Telefongespräch mit Jan Kubisch, einem Vertreter der OSZE an. Kurmanbek Bakijew setzt auf Verhandlungen. Er fordert eine UN-Friedensmission für den Norden des Landes und eine internationale Kommission, die die Vorfälle am 7. April untersuchen soll. "Ich gehe davon aus, dass der Umsturz vom Ausland gesteuert wurde", sagt Bakijew. Er reaktiviert die schnelle Unterstützung der neuen Regierung in Bischkek durch Russland. Putin habe die Lage nur beruhigen wollen, sagt Bakijew. Der gestürzte Präsident fühlt sich in Dschalalabad jedoch nicht sicher. Von der neuen Staatsmacht ist allerdings nichts zu sehen. Von der Stadt Osch bis vor das Vaterhaus des Präsidenten in Dschalalabad patrouillierten weder Militär noch Polizei.

Am Samstag kursierten in Dschalalabad allerdings Gerüchte, dass aus Bischkek eine Spezialeinheit angereist sei, um Bakijew festzunehmen. Daraufhin flüchtete Bakijew samt Familie Hals über Kopf aus dem Stadtviertel und kehrte aber Sonntag wieder zurück.

Der Gouverneur und der Bürgermeister von Dschalalabad sind nach dem Umsturz abgesetzt worden. Bisher wurde die südkirgisische Stadt von Plünderungen und Ausschreitungen verschont. Im Stadtzentrum hängt noch ein großflächiges Plakat, das Bakijew mit dem russischen Präsidenten Medwedjew zeigt.

"Die Anhänger Bakijews sind schwer bewaffnet, und es sind um die 300 Mann", sagt der Sprecher der neuen Macht im Gouverneurssitz, der bislang Kirgisiens Botschafter in Pakistan war. "Wir haben ihnen klargemacht, dass ein Konflikt vermieden werden muss." Bakijew behauptet, seine Wachmannschaften entlassen zu haben. Nur noch wenige seien bewaffnet.

Außer den Anhängern Bakijews fürchtet die neue Macht in Dschalalabad, in der mehrheitlich usbekischstämmige Einwohner leben, einen ethnischen Konflikt. Mehrere tausend Usbeken versammelten sich am Samstag in der privaten Universität der Völkerfreundschaft, um offiziell der Toten in Bischkek zu gedenken. Knapp einen Kilometer davon entfernt kommen die Kirgisen der Stadt ebenfalls zu einer Ratsversammlung zusammen. Die neuen Machthaber untersagten aus Angst vor Unruhen zwar die Versammlung der Kirgisen, trotzdem finden sich einige hundert auf dem Platz ein. Unter ihnen bekennen sich einige lautstark zu Bakijew. "Er ist der rechtmäßige Präsident", ruft ein stämmiger Mann zornig.

Auch in Osch, der bevölkerungsreichsten Stadt im Süden Kirgisiens, gibt es noch Anhänger Bakijews. Selbst der Bürgermeister von Osch wurde nicht ausgetauscht und kontrolliert mit einer Jungmännerschar die Stadt. Unter den muskelbepackten Kirgisen finden sich viele, die Bakijiew nach wie vor die Treue halten. Der Bürgermeister von Osch beschwört aber seine Loyalität gegenüber der neuen Macht in Bischkek.

In Dschalalabad entspannt sich die Lage. Gegen Sonntagmittag lösen sich die Versammlungen der Kirgisen und Usbeken auf, und Bakijews Anhänger sind auch aus dem Stadtzentrum verschwunden. Die Usbeken begrüßen den Umsturz in Bischkek und hoffen, dass die neue Regierung sie nicht mehr drangsalieren wird.

Während der Revolte kam es noch zu Provokationen. In der Nacht des Umsturzes fuhr ein weißer Mercedes ohne Nummernschilder am usbekischen Kulturzentrum in Dschalalabad vorbei und feuerte mehrere Schrotladungen in das Gebäude. An der Außenwand sind die Einschusslöcher sichtbar und die Fenster gingen zu Bruch. "Wir lassen uns aber nicht provozieren", sagt ein Usbeke.

Das Leben geht derweil in der südkirgisischen Stadt weiter. Brautpaare lassen sich trotz Revolte und Machtumsturz trauen. Sie legen traditionell am Stadttor von Dschalalabad vor einem Denkmal eines kirgisischen Dschigiten, der mit erhobener Lanze hoch zu Ross reitet, Blumen nieder und lassen sich davor fotografieren. Er war vor vielen hundert Jahren ein Feldherr in der Region, und offensichtlich erfolgreicher als sein Namensvetter. Auf dem Sockel des Reiterdenkmals prangt der Namen: Kurmanbek.

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2 Kommentare

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  • JB
    Judith Beyer

    Der Autor schreibt:

    "Seit dem Zerfall der Sowjetunion ringen die Klaneliten um Einfluss und Macht in dem bitterarmen Land mit knapp fünf Millionen Einwohnern."

     

     

    „Klaneliten“ ringen weder in Kirgistan noch in den anderen zentralasiatischen Ländern um Macht und Einfluss. Es ist eine weit verbreitete, jedoch nicht zutreffende Annahme, dass Zentralasien eine Region sei, in der „Klane“ als Akteure auftreten. Der Begriff sollte als Erklärungsmodell für politische Dynamiken jedoch vermieden werden, da Klane nicht handeln können. In Kirgistan ist ein „Klan“ keine soziale Gruppe, sondern eine imaginierte Einheit, unter der meist mehrere Abstammungsgruppen (kirgisisch: uruu) subsumiert werden. Diese umfassen oft nur wenige Generationen, und können i.d.R. klar rekonstruiert werden. Doch agieren auch diese kleineren Abstammungsgruppen nicht notwendigerweise als Kollektiv. Die Abstammung von oder die Zugehörigkeit zu einem der mythischen vierzig kirgisischen Klane (in manchen Übersetzungen sogar „Stämme“) ist darüber hinaus nur eines von vielen identitätsstiftenden Symbolen, auf die sich ein Individuum berufen kann. Für die meisten Kirgisen ist es von geringer oder gar keiner Bedeutung, welchem „Klan“ sie angehören.

    Im politischen Diskurs hingegen werden „Klane“ und das Phänomen des „Tribalismus“ sowohl von der lokalen politischen Elite als auch von der westlichen Öffentlichkeit als Erklärungsmodelle für die politische und wirtschaftliche Lage der zentralasiatischen Gesellschaften herangezogen. Die Klanthese entstand im 19. Jahrhundert zur Zeit der zaristischen Eroberung Zentralasiens und wurde durch russische Wissenschaftler geprägt, die versuchten, die soziale Organisation der dortigen Gesellschaften zu verstehen. Wenn Marcus Bensmann hier von „Klaneliten“ berichtet, übernimmt er somit einerseits einen Diskurs, der durch die imperiale russische Geschichtsschreibung erst entstanden ist und handelt andererseits genau wie ein moderner kirgisischer Politiker, der versuchen muss, seine Handlungen einer möglichst breiten Öffentlichkeit zu verkaufen. Kirgisen wissen jedoch dass ein „Klan“ oder "Klaneliten" keine handelnden Akteure sind, sondern lediglich politische Zuschreibungen, die ein Akteur vornimmt, um sein Handeln (oder das anderer) zu legitimieren. Dieses kritische Verständnis fehlt in der westlichen Berichterstattung leider noch immer.

     

    Dr. Judith Beyer, Max Planck Institut für ethnologische Forschung

  • N
    Nobilitatis

    "Er reaktiviert die schnelle Unterstützung"

    Müsste das nicht "relativiert" heißen?