Umstrittener Kraftwerkneubau in Hamburg: Es geht nur um Kohle
Die Entscheidung zum Bau des Kohlekraftwerks Moorburg gefährdet entweder die Koalition oder die Senatskasse. Vattenfall könnte bis zu 1,4 Milliarden Euro Entschädigung fordern.
HAMBURG taz Am 9. September wird der Hamburger Senat aus CDU und Grünen voraussichtlich seine bislang schwerwiegendste Entscheidung bekannt geben. Der Bau des Steinkohlekraftwerks Moorburg durch den Energiekonzern Vattenfall ist zu genehmigen - oder zu untersagen. Im Fall eines Ja könnte die Basis der Grün-Alternativen Liste (GAL) beginnen, den Sinn der ersten schwarz-grünen Landesregierung in Deutschland nachhaltig infrage zu stellen; bei einem Nein drohen ein Aufstand der Hamburger Wirtschaft und eine langjährige gerichtliche Auseinandersetzung.
Vattenfall wird dann auf Erteilung der Genehmigung klagen oder auf Schadenersatz in Höhe von "derzeit 1,3 bis 1,4 Milliarden Euro", wie Anfang Juni vorsorglich der damalige Vattenfall-Vorstand Hans-Jürgen Cramer vorrechnete. 250 Millionen Euro seien bereits auf der Baustelle investiert worden, Turbinen und sonstige "maßgeschneiderte Spitzentechnologie" für 1 Milliarde seien bestellt worden. In einem anderen oder auch nur kleineren Kraftwerk "ist das nicht zu gebrauchen", sagte Cramer.
Seit Ende vorigen Jahres baut der Monopolstromer im Hafen- und Industriegebiet Moorburg an der Süderelbe am größten Steinkohlekraftwerk Deutschlands. Mit einer Leistung von 1.640 Megawatt stünde es auf einer Stufe mit den leistungsstärksten Atommeilern Krümmel und Brokdorf. Zusätzlich würde es 650 Megawatt Fernwärme produzieren und dadurch mit einem Wirkungsgrad von 62 Prozent das effektivste Kraftwerk seiner Art auf dem Kontinent. "Wir bauen hier das umweltfreundlichste Kohlekraftwerk Europas", pries Cramer sein Projekt an: "Diese Baustelle ist die energiewirtschaftliche Lösung für Hamburg."
Ein Gaskraftwerk, das Grüne und Umweltverbände mehrfach als Alternative ins Gespräch gebracht hatten, lehnt Vattenfall ab. Dies würde für rund 410.000 Fernwärmekunden in Hamburg eine Tariferhöhung um mindestens 28 Prozent bedeuten - 290 Euro jährlich für einen Vierpersonenhaushalt, rechnete der Konzern vor. Denn die höheren Kosten der Stromerzeugung im Gaskraftwerk müssten durch Einnahmen aus der Fernwärme gedeckt werden.
Mit rund 8,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) würde der Kohlemeiler jährlich genau so viel emittieren wie der Straßenverkehr in Hamburg. Den Gesamtausstoß an CO2 in der Stadt würde Moorburg, das die Umweltschutzorganisation Robin Wood als "modernste Methode zur Fortsetzung der Klimakatastrophe" geißelt, um 40 Prozent erhöhen.
Zudem will Vattenfall bis zu 64 Kubikmeter Wasser in der Sekunde aus der Elbe pumpen. Damit würde sechsmal mehr Flusswasser durch Kühlsysteme geleitet als heute. Bei mittlerem Wasserstand würde fast die Hälfte der Süderelbe durch Turbinen fließen. Nach Ansicht der staatlichen Wassergütestelle Elbe hätte das fatale Folgen für Flora und Fauna des Flusses.
In einem am 14. November 2007 mit dem Konzern geschlossenen Vertrag hatte der damalige CDU-Senat die Erlaubnis für "vorbereitende Bauarbeiten" erteilt. Das offizielle Genehmigungsverfahren, das bis März 2008 beendet sein sollte, wurde inzwischen bis zum 10. September verlängert. Denn seit genau 112 Tagen regieren die Grünen an der Seite der CDU, und die lehnen den "Klimakiller Moorburg" ab. Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag vom April wurde zwar lediglich wortkarg vereinbart, dass die zuständige Umweltbehörde nach Recht und Gesetz über die Genehmigung entscheiden werde. Nicht nur Vattenfall versteht diese Passage aber so, dass die neue Umweltsenatorin Anja Hajduk (Grüne) nach Tricks suchen will, um das Kraftwerk zu verhindern.
Daraufhin erhob Vattenfall vor dem Oberverwaltungsgericht Hamburg eine "Untätigkeitsklage", über die noch nicht entschieden ist. Ein Rechtsgutachten hatte Anfang Juni wie gewünscht bescheinigt, für den Senat bestehe "die einzige Handlungsoption darin, die beantragte Genehmigung unverzüglich zu erteilen". Nach einer mündlichen Verhandlung im Juli kündigte das Gericht einen so genannten Hinweisbeschluss an, der die Tendenz einer Entscheidung im Hauptverfahren erkennen lassen würde. Einen Termin nannte die Kammer nicht.
Alle Beteiligten erwarten diesen Spruch aber noch für diesen Monat. Und sie gehen davon aus, dass die grüne Umweltsenatorin wenige Tage später in ihrem Bescheid dem Richterspruch folgen wird.
Wie auch immer er ausfallen wird. SVEN-MICHAEL VEIT
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