: Umsonst und drinnen
■ Rathausführung: Pfiffige Visite auch für Nichturlauber / „Wir Bremer“ als Geschichts-Rüpel / Karl der Große als Barockfürst verkleidet
Man(n) muß sie einfach ins Herz schließen, die Damen im blauen Kostüm mit dem schicken Käppi, leicht schräg und keck auf der Dauerwelle drapiert: die Bremen-Hostessen. Selbstbewußt und zielstrebig marschieren sie vorneweg vor Besuchertrauben über den Marktplatz und durch
die Böttcherstraße. Die Handtasche über der Schulter, der passend dunkelblaue Regenschirm immer parat. Sie sind ja Profis und mit Bremens klimatischen Bedingungen wohlvertraut. Alle modischen Extravaganzen, alle Eskapaden der Couturiers hat die Bremer Hostessenkluft die letzten zwanzig Jahre unbeschadet überstanden.
Was wären etwa die Rathausführungen ohne die Bremen -Hostessen? „Ich begrüße Sie im Namen des Senats der Freien Hansestadt Bremen“, empfängt unsere Hostess die achtzigköpfige Gruppe in der unteren Rathaushalle. „Diese Führung ist ein Geschenk der Stadt“, fügt Jutta W. hinzu, und sie hofft, daß der Finanzsenator auch künftig den BesucherInnen kostenlose Rathaus-Führungen spendiert. Schließlich laufen die TouristInnen ja nicht durch Wedemeiers Amtszimmer.
Wir dürfen in der oberen Halle auf den lederbespannten Stühlen mit dem Bremer Wappen Platz
nehmen, auf denen sonst die gutbetuchten Herren bei Eiswette oder Schaffermahl ihre Frackhosenböden durchdrücken. Im amüsanten Schweinsgalopp führt uns Jutta W. durch die bremische Historie.
Sie kommt dabei auch auf die Schattenseiten zu sprechen. „Wir Bremer ermordeten einen Missionar, denn vom Christentum wollten wir nichts wissen.“ 787 errichtete Bischof Willehad die erste Holzkirche. „Das nutzte nichts“, kommentiert unsere Hostess. „Wir Bremer brannten sie sofort wieder ab!“ Dem tagenbaren taz-Aushilfsreporter wird allmählich etwas mulmig in seiner Haut. Das waren alles wir? Kein Zweifel: Wir BremerInnen haben uns in eine tiefe hanseatische Kollektiv-Schuld verstrickt - von Willehad bis Wedemeier.
Ohne jede Scheu nimmt sich unsere Hostess der Fresken in der oberen Halle an. „Da ist einiges verkehrt drauf“, erläutert sie ein riesiges Bild, das die Gründung
der Stadt allegorisch verklärt. „Der Dom ist verkehrt gemalt, Karl der Große ist wie ein Barockfürst gekleidet, und das Wappen ist auch falsch.“ 33 Medaillons an der Rathausdecke sollen deutsche Kaiser und Könige darstellen. Die Ähnlichkeit sei allerdings gering: „Der Künstler malte seine eigene Verwandtschaft.“
Soweit desillusioniert, erwartet der Aushilfsreporter nun delikate Hintergründe über unsere berühmteste Veranstaltung nur für Männer. Doch auf die Schaffermahlzeit läßt unsere Hostess nix kommen: „Dieser Pinkel ist nicht igittigitt!“ Und sie plaudert weitere Sonderbarkeiten der feinen Bremer Art aus: Vor einigen Jahren hätten einmal vier Frauen „aus Gleichberechtigungsgründen“ versucht, in die honorige Männergesellschaft einzudringen. Vergebens! „Unsere Schaffer sind streng geblieben“, erzählt unsere Hostess. Und fügt hinzu: „Und wir hoffen, daß das so bleibt!“
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